: Das Feuer des Hasses
Auf den Molukken tobt ein Krieg der Religionen. Christen und Muslime fackeln sich gegenseitig Häuser ab, und jeder behauptet, der andere habe angefangen ■ Aus Ambon Jutta Lietsch
Was den 33-jährigen Mochtar Adam vor wenigen Tagen dazu trieb, am helllichten Nachmittag mitten in Ambon eine christliche Zone zu betreten, ist umstritten. Sicher ist nur, dass er dafür mit seinem Leben bezahlte: Er war nur ein paar Schritte gegangen, als ein Schrei ertönte: „Muslim!“ Ein früherer Nachbar hatte ihn erkannt. Sofort stürzte sich eine Menge auf den Mann und prügelte wie besinnungslos auf ihn ein. Innerhalb von wenigen Minuten lag er am Boden. Niemand griff ein. Die Soldaten vom Posten um die Ecke kamen zu spät.
Fast unvorstellbar scheint heute in Ambon, der Haupstadt der südlichen Molukken, dass hier Christen und Muslime noch vor kurzem Tür an Tür lebten. Wann der Frieden endete, kann in der Stadt jedes Kind erzählen: Es war der 19. Januar 1999. Die Muslime feierten das Ende des Fastenmonats Ramadan. Ein Christ und ein Muslim gerieten am Busbahnhof in Streit. Plötzlich brannten Kirchen und Moscheen, Wohnhäuser, ganze Dörfer.
Seitdem ist der Funke weiter geflogen. Kein Tag vergeht ohne Angriffe und Rachefeldzüge, in Ambon oder einem anderen Ort auf den tausend Inseln der Molukken. Und das Feuer des Hasses wird immer neu geschürt.
Schon die Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt zeigt die Grausamkeit und Absurdität der Tragödie. Der Airport liegt auf der anderen Seite der Bucht von Ambon. Der Weg führt durch eine tropische Pracht von Palmen, Bananenstauden, Avocadobäumen und blühenden Bougainvillea-Büschen. Bewohnte Dörfer folgen auf zerstörte Siedlungen.
Das Hotel schickt einen Wagen zum Flughafen, um seine Gäste abzuholen, und gleich einen Soldaten mit einem automatischen Gewehr dazu. Immer wieder stoppen selbst ernannte Kontrolleure die Autos, verlangen den Ausweis, auf dem die Religionszugehörigkeit eingetragen ist.
Benny, der Soldat, zeigt wie ein Fremdenführer aus dem Wagen: „Obet“ – „Gebiet “, sagt er, und bald darauf : „Acang“ – „Dorf“. Dann tippt er auf seine Brust: „Obet!“ Das Rätsel löst sich bald: Obet ist eine Verballhornung des christlichen Vornamens „Robert“, und so werden in Umgangsprache alle Christen bezeichnet. Hinter „Acang“ verbirgt sich der muslimische „Hassan“.
Die christlichen und die muslimischen Viertel sind gut zu unterscheiden: Wo die „Roberts“ die „Hassans“ überfallen haben, blieb die Kirche heil, und die Moschee ist zerstört. Hundert Meter weiter ist es umgekehrt. An den verwüsteten Gebäuden haben die jeweiligen Sieger der heiligen Schlachten provozierende Grafitti hinterlassen – auf die Häuser vertriebener Muslime zum Beispiel malten sie ein christliches Kreuz, „I love Jesus“ oder „Israel“. Auf den Mauern ausgebrannter Kirchen steht „Jihad„ (Heiliger Krieg) oder auch „Allah ist groß“.
Fast 45 Minuten dauert der Weg zum „Hotel Amans“, dass Iwan Pabula, der Sohn des Besitzers, als „das sicherste in ganz Ambon“ bezeichnet. Iwan, indonesischer Chinese, der in Singapur Betriebswirtschaft studiert hat, verfügt über die Gabe, den Dingen Positives abzugewinnen: Seine Herberge liegt im stillen „Niemandsland“ zwischen einem christlichen und einem muslimischen Bezirk. „Hier wird uns niemand angreifen“, sagt er, „wir haben dreißig muslimische und christliche Soldaten, die extra für unseren Schutz da sind.“
Im Westen blicken die Fenster auf ausgebrannte und verlassene Straßenzüge der Stadtteile Mardika und Batumera, einst ein blühendes Geschäftszentrum. Im Osten rührt sich in den Wohnhäusern mit ihren winzigen Vorgärten nichts – die Bewohner sind verschwunden. Sie haben sich in die „christlichen“ oder „muslimischen“ Viertel geflüchtet, die inzwischen entstanden sind. Aus dem ehemals bunt gemischten Ambon ist eine Stadt der Apartheid geworden.
Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), die inzwischen rund 100.000 Flüchtlinge auf den Molukken betreuen, kämpfen mit einem „logistischen Alptraum“, wie Bürochef Richard Rowat sagt. Seine einheimischen Mitarbeiter können sich nur auf sorgsam ausgeklügelten Wegen durch die Stadt bewegen, umgehen feindliches Gebiet auf dem Wasser, mit Schnellboottaxis .
MSF musste zwei Büros eröffnen, eines auf jeder Seite. Um auch die Krankenhäuser und Flüchtlingscamps auf anderen Inseln erreichen zu können, hat die Organisation ihren Mitarbeiterstab vervierfacht: Jetzt arbeiten je ein muslimisches und ein christliches Team in der Stadt Ambon und je eines in den entlegenen Dörfern. Die muslimischen und die christlichen MSF-Mitarbeiter, oft alte Freunde, telefonieren miteinander, aber zusammenkommen können sie nicht.
Auch Schwester Francesco Moens, eine holländische Nonne, die seit 35 Jahren in Ambon lebt, traut sich nicht mehr auf die andere Seite. Noch im letzten Sommer hat ihre Frauengruppe aus Musliminnen, Protestantinnen und Katholikinnen den Militärkommandeur, den Gouverneur, das Parlament und die Imame und Pfarrer besucht und sie aufgefordert, endlich Frieden zu schaffen. „Sie haben uns empfangen, aber nichts getan“, sagt sie.
Die 65-jährige Schwester hat Zeugnisse der Ereignisse im Dezember gesammelt, als die Gewalt in Ambon zum vorerst letzten Mal explodierte. Sie fotografierte Leichen und notierte Zeugenaussagen. Am zweiten Weihnachtstag zündeten Muslime die evangelische Silo-Kirche im Zentrum an, nachdem ein christlicher Busfahrer ein muslimisches Kind überfahren hatte. Mit schrecklicher Wut reagierten damals Banden protestantischer Männer: „Sie zogen johlend geköpfte und verbrannte Leichen durch die Straße, andere hielten triumphierend die Köpfe ihrer Opfer in die Höhe“, berichtet die Nonne.
Den Christen mit ihren roten Stirnbändern stellten sich Muslime mit weißen Gebetshemden oder Stirnbändern entgegen. „Alle sind wie berauscht vom Töten“, sagt Schwester Francesco. In vielen Fällen griffen Polizisten nicht ein, manchmal schlugen sie sich auch auf die eine oder andere Seite. Andere Einheiten versuchten allerdings, Angegriffene zu schützen. Tagelang lagen verstümmelte Tote in den Straßen. Nach Informationen von MSF starben in der letzten Dezemberwoche allein in Ambon mindestens 70 Muslime und 20 Christen.
Die Nerven der Bevölkerung sind zum Zerreißen gespannt. Vor den zerstörten oder verlassenen Läden sitzen arbeitslose Männer, die keine Chance auf einen Job, aber sehr viel Wut haben. „Niemand investiert hier – woher soll die Arbeit kommen?“, sagt Hotelier Iwan, der die meisten seiner Mitarbeiter nach Hause geschickt hat, sie aber weiterhin bezahlt. Das ist nicht nur sozial, sondern auch weitsichtig: Er weiß, dass viele Geschäfte bei den letzten Unruhen von entlassenen Angestellten angezündet worden waren.
Dass in diesen Tagen relativer Ruhe keiner versucht, sein Haus zu reparieren, ist ein dramatisches Zeichen: „Alle haben Angst“, sagt Iwan. „Es kann jeden Moment wieder losgehen.“
Auf den Fähren, in den Sammeltaxis und über Handy reisen Gerüchte über neue Angriffe blitzschnell durchs Land. Als am vergangenen Wochenende Muslime auf der kleinen Insel Haruku ein Dorf überfielen und 25 Menschen töteten, brausten sofort die Boote aus der Bucht , um die Verletzten zu bergen und „christliche“ Kämpfer hinzuschaffen.
Nur in einer Sache stimmen viele christliche und muslimische Ambonesen überein: Angefangen hat die jeweils andere Seite.
Malik Saleng , der etwa vierzigjährige Chef der lokalen Vereinigung der Imame Indonesiens (MUI), sitzt in seinem schlichten Büro in der al-Fatah-Moschee. An der Wand hängt die religiöse Statistik der Stadt: „Einwohner: 311.974 / Islam: 42,38 Prozent / Protestanten: 51,92 Prozent / Katholiken: 5,55 Prozent.“
Für Malik Saleng steht der Grund für den Mord an dem Muslim Mochtar Adam außer Zweifel: „Die Christen sind hinterhältig. Es waren seine früheren Nachbarn, die ihn auf das christliche Territorium gelockt haben, um ihn umzubringen“, sagt er. „ Sie haben Mochtar angerufen und gesagt, sie wollten ihm sein Haus abkaufen, aber das war eine Falle. Sie hatten nur ein Ziel: Sie wollten einen Muslim umbringen.“
Auf der christlichen Seite kursieren unterdessen andere Geschichten: Mochtar Adam sei betrunken und mit einem Messer bewaffnet über die Grenze gelaufen. Er habe im Kartenspiel verloren und sich gestritten.
Die MUI ist eine der einflussreichsten islamischen Organisationen in Indonesien, in ihr sind jene Geistlichen organisiert, die kürzlich in der Hauptstadt Jakarta zum „Heiligen Krieg“ gegen die Christen aufgerufen haben, um das Leben der bedrohten Glaubensbrüder zu schützen.
Für Malik Saleng steht die Ursache der Gewalt: Die Christen wollen die Muslime vertreiben oder ausrotten: „Sie wollen ihre wirtschaftlichen Privilegien in Ambon erhalten und die Kontrolle über die Provinz. Wir Muslime sind friedlich, der Koran verbietet es zu töten.“ Hilfe erwartet er vor allem von der Regierung in Jakarta: Sie muss, sagt er, mehr Militär schicken.
Der katholische Bischof von Ambon, Monsignore Mandagi, glaubt hingegen, dass Ambon Opfer eines Machtkampfs in Jakarta ist: „Teile des Militärs, der alten Suharto-Elite und fundamentalistischer Muslime nutzten die Religion, um die Regierung des liberalen Abdurrahman Wahid zu stürzen, eine Demokratisierung zu verhindern“, sagt er.
Warum gerade in Ambon? Eine Antwort gibt Schwester Francesco: „Sie haben sich eine Region in Indonesien ausgesucht, wo die Muslime und die Christen ungefähr gleich stark sind. Sie haben es auch in anderen Regionen versucht, aber die Provokationen verpufften immer schnell, weil die christliche Minderheit viel zu klein war. Aber bei uns war das anders: Da sind die Christen stark, und sie reagierten heftig.“
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