Verteidigungsminister Scharping lehnt schwule Soldaten ab: Sex als Sucht?
Angeblich spielt Sexualität am Arbeitsplatz Bundeswehr keine Rolle. Falsch. Heterosexualität ist da: In Spinden und Gesprächen von Bundeswehrsoldaten spuken Pin-up-Girls, Freundinnen, Ehefrauen und zukünftig wohl auch vermehrt Kameradinnen herum. Darüber regt sich niemand auf. Denkt ein Soldat jedoch lieber an einen Mann, wird er sich hüten, ein erotisches Plakat aufzuhängen oder gar zu erwähnen, dass er schwul ist. Denn seine Sexualtität wird nach anderen Maßstäben gemessen: Nach Lesart des Verteidigungsministeriums ist sie gefährlich und krankhaft. Mit dieser skandalösen Einschätzung beweist Rudolf Scharpings den unbedingten Willen zur Homophobie.
Von einer pseudowissenschaftlichen Studie hatte sich der SPD-Minister bestätigen lassen, dass Schwule in ihrer geschlechtlichen Identiät verunsichert seien und ihre Sexualität fast immer einen „Suchtcharakter“ habe. Um eine Institution zu finden, die solch krude und medizinisch schon längst nicht mehr haltbare Befunde erstellt, musste das Verteidigungministerium wohl ein bisschen suchen: Nicht bei einer Universität oder einem renommierten Institut gab es seine Studie zum Thema Homosexualität und Bundeswehr in Auftrag, sondern beim Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft im südhessischen Örtchen Reichelsheim. Es ist eine Unterorganisation des Vereins „Christen in der Offensive“ und hat schon mehrere diskriminierende Schriften zum Thema Homosexualität veröffentlicht.
Wer sich solche Berater auswählt, will nicht wirklich wissen, ob Schwule als Ausbilder oder Vorgesetzte beim Bund geeignet sind. Er will sich nur die in seiner Frage enthaltenen Vorurteile bestätigen lassen – und sei es von offensiven Christen. Scharpings Amtsvorgänger Volker Rühe (CDU) hätte man solches Vorgehen eher zugetraut. Es überrascht und empört bei einem Vertreter der rot-grünen Regierung, die unter anderem angetreten war, um „Minderheiten zu schützen“ (Koalitionsvertag). Schwule Soldaten scheinen nicht ein Teil dieser schützenswerten Menge zu sein. In der ministeriellen Vorstellung sind sie kranke Sexmonster, die sich auf ihre Kameraden stürzen und so den Zusammenhalt der Truppe stören. Solche absurden Gedanken- und Gefühlskonstruktionen zeigen vor allem eins: Die Bundeswehr hat ein ungeklärtes Verhältnis zur Sexualität, sowohl zur hetersexuellen als auch zur homosexuellen. Leider scheint ein homophober Minister kaum geeignet, hier eine Entkrampfung einzuleiten. Nadine Lange
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