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Im Überraschungsei zum Himmel

Glücksmöglichkeiten lauern überall. Aber auch die Angst, die Amokläufer und der Tod: Die Autorin Alexa Hennig von Lange hat ein neues Buch geschrieben über mutige Marsmännchen, Liebessucher und eifernde Turnschuhfetischisten. Ein Porträt ■ Von Volker Weidermann

Sie ist’s. Original. Die Technotanzautorin, die Drogendichterin, die Romanschreiberin der Nacht, der Liebe und der großen Gedankenlosigkeit: Alexa Hennig von Lange (26) schiebt schwer an ihrem Kinderwagen und wuchtet ihn dann die drei Stufen hinauf in den Hauseingang des frisch knallgelb gestrichenen Hauses am Berliner Mauerpark. „Tötet Bullen und Bonzen“, fordert ein Graffito an der Hausfront, und die Schriftstellerin hebt ihre Tochter Mia-Louise (sieben Monate) aus dem Wagen und trägt sie nach oben in die Wohnung.

„Ich glaube, ich habe das lustigste Leben überhaupt“, hat sie einmal in einem Interview gesagt. Heute wirkt sie eher erschöpft und sagt etwas angestrengt: „Man muss sich sein Leben selber lustig machen.“ Gerade ist ihr neuer Roman „Ich bin’s“ erschienen, an dem sie bis zwei Wochen vor Veröffentlichung geschrieben hat. Nachts, wenn das Kind schlief. Ihr Freund, mit dem sie zusammenwohnt, arbeitet tagsüber. Da muss sie auf Mia aufpassen.

Manische Sucher und panische Davonläufer

„Heute ist ein sehr guter Tag“, steht am Anfang ihres neuen Buches. Doch das scheint eher so eine Art Beschwörungsformel zu sein, denn der Tag, der dann folgt wird für Lars, den Ich-Erzähler, zum Alptraum. Von seiner sexsüchtigen Freundin, die komischerweise auch Mia heißt, verfolgt und auch von anderen Frauen bedrängt, droht seine Mission, bei Nike-Town sein wohl hundertstes Paar Nike-Airmax zu erstehen, zu scheitern. Gehetzt von gewalttätigen Schwachköpfen, rücksichtslosen Autofahrern, Marsmännchen, denen er ein Begrüßungsgeschenk verweigert, und immer wieder Frauen, die ihn „süß“ finden, leidet sich der junge Lars so durch den Tag: „Mein Leben ist wirklich ein Desaster. Ständig bin ich auf der Flucht, es gibt keinen Ort für mich, wo ich das Gefühl habe, angekommen zu sein, und wo ich mich wirklich geborgen fühle.“

Das ist das Leiden der meisten Figuren in Alexa Hennig von Langes Geschichten. Vor allem der Männer: Sie sind alle manische Sucher und panische Davonläufer, die in Kreisen denken und in Kreisen rennen, die behaupten, den Augenblick zu leben, während sie in Wirklichkeit durchs Leben hetzen, auf der Suche nach etwas, vor dem sie gleichzeitig auf der Flucht sind. Und das ist: die Liebe. Ja. „Mein Traum vom Glück: Am Highway stehen, im Minirock, den Daumen raus und zwei Typen mit Muskelshirts und großem Cabrio halten an und nehmen mich mit. So wie bei Bruce Springsteens „Born in the USA“ oder „Crazy“ von Aerosmith. Dies Lebensgefühl ist das Lebensgefühl, von dem ich träume“, sagt von Lange. Und wenn man darüber etwas staunt, lächelt sie nur und sagt: „Ich tu’s ja nicht. Deshalb schreibe ich ja Bücher. Aus Sehnsucht danach. Aus Sehnsucht nach der absoluten Liebe.“

Diese absolute Liebe sieht in ihren Büchern so aus: Die Frauen warten, bitten, sehnen sich und warten noch ein bisschen. Die Männer sind unterwegs. Fliehen, suchen, tanzen, trinken, werfen Pillen, Koks und so Sachen ein. „Die Kleine“, so heißt die Liebende in von Langes Erstling, dem supererfolgreichen Technotanzroman „Relax“, sieht das so: „Die Jungs kriegen ja nicht mal ihr eigenes Glück mit. Ich meine, Chris telefoniert, und sein Glück liegt nackt neben ihm.“

Alexa Hennig von Lange schreibt sonst fast immer aus der Sicht der Männer. Weil es einfacher sei, sagt sie. Weil Männer mehr Humor haben, sagt sie. Und weil sie nicht will, dass alle Welt meint, sie erzähle über sich und ihr Leben. Das habe sie schon ziemlich genervt nach „Relax“, dass ständig Leute ankamen und fragten, wie sie von den Drogen losgekommen sei und wo sie den Vibrator versteckt habe und so. Dabei lebe sie ganz anders als in den Büchern. Sei zum Beispiel seit Monaten nicht Tanzen gewesen. Klar, mit dem Kind. Aber davor auch nicht viel.

Ärger hat ihr in der Folge von „Relax“ auch das Frauenbild eingebracht, das sie in ihren Büchern beschreibt: Coole Jungs, in der Nachtwelt unterwegs, und bewundernde, wartende Mädchen. In einem Interview hat sie dazu mal gesagt: „Das liegt für mich in der Natur der Frau, ein Zuhause, ein Nest zu bauen. Männer sind für mich eher diejenigen, die auf Jagd gehen und das Essen beschaffen.“ Auch sonst ist Alexa Hennig von Lange eher ein – na – traditionsbewusster Mensch. Beklagt die Orientierungslosigkeit und dass die verbindlichen Werte verloren gegangen sind, redet von ihrer Angst vor Amokläufern und Kampfhunden. „Das wird immer schlimmer“, sagt sie, „und keiner tut was dagegen.“

Und sie selbst? „Ich fühle mich so machtlos. Ich kann Bücher schreiben. Das ist mein Beitrag.“ Die vermehrten Amokläufe der letzten Zeit seien eine direkte Folge vom Verfall der Werte. Es sei wichtig, dass man was von zu Hause mitbekommt: Respekt vor den Menschen und den Dingen. „Das gibt einem Halt.“ Sonst könne es wirklich passieren, dass man Amok läuft – aus Angst, aus Verzweiflung, aus Rücksichtslosigkeit, aus Gleichgültigkeit – und tötet nach Belieben.

„Irgendwie ist es ein glücklicher Moment“

Der Tod ist immer da in Alexa Hennig von Langes Büchern. Schon in den Pixi-Büchern, die sie als Achtjährige schrieb, ging es um Kinder, die im Wald verhungern. Mit fünfzehn schrieb sie dicke Wälzer über Teenager, die sich umbringen wollen, weil sie den Sinn des Lebens vergeblich suchen. Und in „Relax“ heißt es einmal: „Irgendwie ist es ein glücklicher Moment, wenn man das Gefühl hat, gleich ist man tot und dann hat dieser ganze Krampf ein Ende.“ Der Krampf, der Kampf, der Lebenskampf. Gar nicht alles so schön leicht hier, in Alexas Welt.

Sie kann sich vorstellen, dass Selbstmord auch ein gutes Gefühl geben kann. „Weil man diese Bedrohung dann unter Kontrolle hat, die Bedrohung durch die Endlosigkeit nach dem Tod.“ Und als Liebestod hat das Ende auch etwas Verlockendes. Sagt sie und strahlt: „Mensch, weißt du nicht mehr? In der Schule? Wenn man sich in jedem Fach um zwei Noten verbessert hat, nur um aufs Gymnasium zu kommen, wo er auch war, der Geliebte? Und es war immer klar: Wenn er stirbt – ich sterbe sofort auch.“ Um zu hoffen, dass man sich wiedertrifft da oben: Den Traum von damals, den muss man sich bewahren. Unbedingt: „Zwei Seelen für immer vereint, die in einer Überraschungseikapsel zum Himmel schweben.“ Das ist das Glück. Na klar. Was sonst? Original.

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