: Innensenator will Richter gängeln
■ Eckart Werthebach (CDU) rückt von seiner Bundesratsinitiative zur Einschränkung des Demonstrationsrechts ab. Stattdessen will er nun die Verwaltungsrichter weich klopfen, das Versammlungsrecht enger auszulegen
Im Kampf gegen die Demonstrationsfreiheit versucht Innensenator Eckart Werthebach (CDU) die unabhängigen Richter für sich zu vereinahmen. „Wir wollen mit den Richtern Gespräche führen“, sagte Innensenatssprecher Stefan Paris gestern. Ziel sei „ein Gedankenaustausch“ über die Auslegung des Demonstrationsrechts in Berlin.
Wie berichtet, ist Werthebach der Auffassung, dass rund um das Brandenburger Tor zu viele Demonstrationen stattfinden. Er sucht deshalb nach einer Möglichkeit, die Aufzüge aus der Innenstadt zu verbannen. Den ursprünglichen Plan, mit einer Bundesratsinitiative darauf hinzuwirken, dass das Versammlungsrecht eingeschränkt wird, hat Werthebach inzwischen offenbar verworfen. Laut Paris will der Innensenator stattdessen bei den Gerichten und der Polizei erreichen, dass das bestehende Versammlungsrecht „voll ausgeschöpft“ wird. „Es geht um eine Konsensfindung aller Beteiligten.“
In Wirklichkeit geht es um die Richter des Verwaltungs(VerwG)- und Oberverwaltungsgerichts (OVG). Jene haben sich in der Vergangenheit wiederholt durch eine demonstrationsfreundliche Rechtsprechung ausgezeichnet. Erst am letzten Freitag hat das OVG das von der Polizei erlassene Verbot eines Neonazi-Aufmarsches am Brandenburger Tor aufgehoben. Die Begründung: Ein Verbot sei nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet seien. Grundlage für derartige Entscheidungen ist das legendäre Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Über die Frage, ob das Brokdorf-Urteil auf einen Stadtstaat wie Berlin „eins zu eins“ übertragen werden kann, will der Innensenator nun mit den Richtern bei einer Anhörung im Innenausschuss diskutieren. In einer Stadt wie Berlin müssten Versammlungsrecht und „Individualrecht der Bürger auf Bewegungsfreiheit“ verstärkt gegeneinander abgewogen werden, meint Paris. Dass die Berliner Gerichte einen Spielraum hätten, zeige das Bespiel Bayern. In München entschieden die Richter bei Demonstrationsangelegenheiten wesentlich häufiger im Sinne der Polizei als in Berlin, behauptet Paris. Er findet nicht, dass die Exekutive Einfluss auf die Judikative zu nehmen versuche.
Der Richter am Berliner Verfassungsgerichtshof, Klaus Eschen (SPD), sieht das ganz anders. „Ich erwarte von den Richtern, dass sie so eine Einflussnahme auf ihre richterliche Unabhängigkeit ablehnen. Sie sind nur an Recht und Gesetz gebunden.“ Wenn Gespräche zulässig seien, dann nur auf politischer Ebene über die Berufsverbände der Richter.
Die Richter am VerwG und am OVG sind derselben Ansicht. „Eine Teilnahme an einem Gespräch über das Versammlungsrecht und die Verwaltungspraxis würde den Anschein erwecken, dass die nötige Distanz zwischen Judikative und Exekutive nicht eingehalten wird“, sagte der Vizepräsident des OVG, Detelf Bitzer. Dies hätten die Gerichtspräsidenten dem Innensenator bereits im November mitgeteilt, als sie von diesem zu einem „kleinen Kreis“ eingeladen worden seien. Den neuerlichen Vorstoß will Bitzer erst dann bewerten, wenn er dazu eine Mitteilung des Innensenators erhalten hat. Plutonia Plarre
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