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Mit dem Internet gegen Indiens Korruption

N. Vittal wird in Indien als Retter gesehen: Der unerschrockene Beamte bringt mit Hilfe einer Website und gegen alle Widerstände den Kampf gegen die weit verbreitete Korruption auf Trab

Delhi (taz) – Bei den Untersuchungen über die Hintergründe der kürzlichen Entführung eines Verkehrsflugzeugs haben die Inder ihr Feindbild – „ein Komplott Pakistans“ – korrigieren müssen. Die Geiselnehmer mögen Pakistaner gewesen sein, doch ihre falsche Identität hatten sie sich in Bombay verschafft, wo sie Beamte im Passbüro bestochen hatten, um an falsche Papiere zu kommen. Es war ein weiterer Anlass zu einem landesweiten Lamento über die Korruption, die nicht nur jeden Konsumenten plagt und lukrative Kontrakte an Land ziehen lässt, sondern offenbar auch die nationale Sicherheit gefährdet. Auf der Liste von Transparency International steht Indien auf Platz 72 von 99 Ländern. Ökonomen schätzen, dass die Parallelwirtschaft 40 Prozent zum Sozialprodukt beiträgt.

Indien hat seit der Unabhängigkeit scharfe Gesetze, die den Missbrauch eines öffentlichen Amts für private Bereicherung scharf bestrafen. Doch es kommt kaum zur Strafverfolgung, noch seltener zur Verurteilung. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein korrupter Beamter oder Politiker seine Strafe absitzt ist laut der Zeitung Business Standard „geradezu lächerlich klein“. Sie zitiert das Beispiel des früheren Fernmeldeministers Sukh Ram, in dessen privater Hauskapelle Säcke von Banknoten gefunden wurden. Er wurde aus dem Amt gejagt, die Partei schloss ihn aus. Doch heute ist er wieder ein erfolgreicher Politiker. Die Kriminalbehörde betrieb laxe Nachforschungen, die Gerichte konnten keine Präzedenzfälle zitieren, und das Wahlsystem erlaubte es ihm, mit einem Viertel der abgegebenen Stimmen gewählt zu werden.

Dass es zu keinem Aufstand gegen das grassierende Übel kommt, hat wohl auch damit zu tun, dass sich jeder Bürger selber ein bisschen schuldig fühlt. Denn angesichts der Allmacht des Staates bei der Verteilung selbstverständlicher Dienstleistungen – vom Flicken des Stromanschlusses bis zur Passerneuerung – haben Antragsteller oft nur die Wahl zwischen monatelangem Warten und dem ach so armen Beamten Geld zu geben. Zwar hat inzwischen jede Behörde ein Antikorruptionsbüro, aber auch hier sitzen Beamte, die leben müssen.

Seit kurzem gibt es eine neue Möglichkeit: „Melde es dem Vittal“, lautet der Rat, wenn jemand über eine Geldforderung stöhnt. N. Vittal, der neue „Chief Vigilance Officer“ des Staats, hat in wenigen Monaten gezeigt, dass er durchzugreifen gewillt ist. In Bombay tauchten seine Leute ohne die übliche Vorwarnung beim Flughafenzoll auf und ließen die Zöllner ihre Hosentaschen leeren – mehrere Millionen Rupien wurden zutage gefördert, das Taschengeld eines einzigen Arbeitstages. Und als sich zeigte, dass die installierten Kameras bei der Zollabfertigung in Delhi ständig verklebt waren, ließ er sich von der Regierung die Verantwortung für deren Unterhalt übertragen.

Kürzlich lancierte Vittal seinen jüngsten Coup. Er publizierte auf der Website seines Amtes die Namen von 95 hohen Zivil- und Polizeibeamten, gegen die Korruptionsklagen anhängig sind. Die meisten sind inzwischen pensioniert, doch einige besetzen noch wichtige Posten. Wie zu erwarten, sind die Fälle dort besonders häufig, wo der Staat allmächtig ist – bei der Vergabe von Bauaufträgen, bei der Verwaltung der Nahrungsmittellager, im Kohlen- und Stahlsektor, bei der Polizei.

Voraussehbar war auch, dass Beamtenverbände argumentierten, dies käme einer Vorverurteilung gleich. Zeitungen warnten Vittal davor, die Bürokratie zu unterschätzen. Doch die Öffentlichkeit sieht ihn als Retter. Eine Frau berichtete, sie habe seinen Namen nur beiläufig erwähnen müssen, um ihren Antrag für einen Wasseranschluss sofort bewilligt zu bekommen. Auch Vittal zeigt sich von der Kritik unbeeindruckt und kündigte an, die Liste auf der Website www.cvc.nic.in ständig zu aktualisieren. Bernard Imhasly

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