: Behörde regelt am Recht vorbei
Träger weigert sich, auf Kontingente über Hilfen zur Erziehung einzugehen. Gutachter erkennt rechtswidrige Kartellabsprachen ■ Von Sandra Wilsdorf
Die Mineralölkonzerne dieser Welt und die Hamburger Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung haben etwas gemeinsam: Sie treffen Kartellabsprachen. Als solche bezeichnet zumindest Professor Albert Krölls die Budgetierungen, die die Behörde mit Trägern der Jugendhilfe abspricht, um die Kosten für ambulante Hilfen zur Erziehung in planbaren und möglichst geringen Höhen zu halten. Krölls, Professor für Recht und Verwaltung an der evangelischen Fachhochschule für Sozialarbeit, hält das für rechtswidrig.
Wenn Träger sich auf eine bestimmte Anzahl von Fachstellen beschränken, so Krölls, beeinträchtige das erstens das Wahlrecht der betroffenen Familien. Die dürfen sich aussuchen, von welchem Träger sie ambulante Hilfen bekommen wollen. Die darf ihnen nicht verweigert werden, nur weil ein Träger sein Kontingent schon erfüllt hat. Außerdem verhindere dieses Vorgehen das Prinzip des Leis-tungswettbewerbs. Als Verteilungsmaßstab gelte nicht, wer besonders kostengünstig oder qualifiziert sei, sondern wer noch freie Kapazitäten hat. „Eine systematische Benachteiligung kostengünstigerer Träger“, schreibt Krölls.
Einen weiteren Grund für die Rechtswidrigkeit der Budgetierung sieht er darin, dass die zu Lasten Dritter geht. Nämlich zu Lasten derer, die nicht in den Wohlfahrtsverbänden organisiert sind und deshalb an den Vereinbarungen nicht teilnehmen. Die enthalten aber einen Passus, „wonach regelhaft solche Träger in Anspruch zu nehmen sind, die Kontingentvereinbarungen mit dem Amt für Jugend abgeschlossen haben“. Es handele sich deshalb um eine „unzulässige Kartellvereinbarung“ und um einen unwirksamen Vertrag.
Mit dieser Argumentation hat sich „Miko“, ein Bergedorfer Träger, der eine GmbH und deshalb nicht Mitglied in einem Wohl-fahrtsverband ist, geweigert, Kontingente zu vereinbaren – und ist damit durchgekommen. „Wir haben 1998 mit eineinhalb Stellen angefangen und sollten uns nun darauf beschränken. Wir haben mittlerweile aber vier Stellen“, sagt Michael Kolle, „Miko“-Inhaber. Er hat nicht unterschrieben. „Man will hier einem bestehenden Bedarf aus finanziellen Gründen entgegentreten.“ Er vermutet, dass die Behörde durch ihr Einlenken verhindern wollte, dass die Sache publik wird: „Die Kontingentvereinbarungen müssen durch den Senat. Wenn alle wissen, dass das ein rechtswidriges Verfahren ist, hätte das vielleicht nicht funktioniert.“
Herbert Wiedermann, beim Amt für Jugend zuständig für Hilfen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien, sieht das anders: „Die Kontingentvereinbarungen gelten nur für die Wohlfahrtsverbände. Für alle anderen nicht.“ Deshalb auch nicht für „Miko“. Der trage „eben das Risiko, das sein Angebot nicht abgerufen wird“. Auch Wiedermann sieht ein Spannungsfeld zwischen Kontingenten und freiem Wettbewerb: „Aber wir haben uns entschieden, zu kooperatistischen Strukturen zurückzukehren, weil ein reiner Verdrängungswettbewerb immer auch Auswirkungen auf die Qualität sozialer Dienstleis-tungen hat“.
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