Kleiner Sieg über die Autoindustrie

Das Europaparlament stimmt dem Kompromissvorschlag zur Altautorichtlinie zu. Wenn der Ministerrat mitmacht, ist die Verschrottung für den letzten Besitzer künftig kostenlos ■  Aus Brüssel Daniela Weingärtner und Kristian Fernholz

Es war wie so oft bei technisch komplizierten und politisch brisanten Entscheidungen im Europaparlament: Die Frage, wer „gewonnen“ hat, ließ sich nach der Abstimmung zur Altautorichtline nicht eindeutig beantworten. Noch Stunden später redeten sich in den Wandelhallen des Parlaments Umweltexperten, aber auch Lobbyisten der Autoindustrie die Köpfe darüber heiß, ob sie nun die Korken knallen lassen oder ob der Sekt besser zu bleibt.

Sicher ist nur eins: Wenn der Ministerrat das jetzt im Parlament erreichte Ergebnis akzeptiert, zahlt der Letztbesitzer nicht für die Entsorgung seines Schrottautos. „Das Prinzip der Herstellerverantwortung hat gehalten“, so die grüne Abgeordnete Hiltrud Breyer erleichtert. Die Befürchtung, intensives Lobbying der Automobilindustrie könnte dazu führen, dass das tendenziell umweltfreundlich eingestellte Parlament eine Umweltrichtlinie verwässert, hat sich nicht erfüllt.

„Ich bin demokratiepolitisch froh. Es ist nicht so weit gekommen, dass ein großes Mitgliedsland mit starker Automobilindustrie das Abstimmungsverhalten des Europaparlaments diktiert“, so Breyer. Das war bis zuletzt nicht sicher gewesen. Der ursprüngliche Kommissionsentwurf datiert vom Juli 1997. Auf der Grundlage der Erfahrungen in mehreren Mitgliedsstaaten legte die Kommission einen ersten Vorschlag vor, wie die Autoschrottlawine stufenweise wieder verwertet werden könnte. Neuwagen sollten zukünftig weniger giftige Stoffe enthalten und recyclingfreundlich gebaut werden. Die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Verwertung und Entsorgung der Altfahrzeuge sollte der Hersteller tragen.

Der Enwurf wurde im Dezember 1998 so gut wie unverändert von den Umweltministern übernommen. Den Experten war klar, dass eine Regelung in diesem Bereich einen großen Schritt nach vorn bei der Bewältigung der Müllberge bedeuten würde: Acht bis neun Millionen Tonnen Müll aus Altautos fallen jährlich in der EU an. Autoschrott trägt mit zehn Prozent zum Sondermüll bei.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern hatten gezeigt, dass nur ein Rücknahmesystem, das für den letzten Fahrzeughalter kostenlos ist, Erfolg verspricht. Sonst ist die vor allem in Südeuropa übliche Praxis, Schrottautos am Straßenrand zu entsorgen, nicht zu stoppen. Im Februar 1999 billigte das Europaparlament in erster Lesung den Kommissionsentwurf. Dann erst wachte die deutsche Autoindustrie auf. Sie rechnete die derzeit auf Europas Straßen fahrenden 160 Millionen deutschen Autos in Entsorgungskosten um und kam auf Beträge zwischen 15 und 20 Milliarden Mark. Nachdem sich der deutsche Umweltminister Jürgen Trittin in der Dezembersitzung des Rates erst für kurze Übergangsfristen und strenge Recyclingkriterien stark gemacht hatte, bekam er Druck von seinem Kanzler, dem wiederum die deutsche Autoindustrie im Nacken saß.

Im Juni 1999, unter deutscher Präsidentschaft, scheiterte die Altautorichtlinie im Rat. Trittin war es gelungen, Spanier und Briten – ebenfalls autoproduzierende Länder – auf seine Seite zu ziehen und so eine Sperrminorität zu erreichen. Erst die Finnen schafften im Juli einen Kompromiss: Die Herstellerhaftung sollte nicht wie ursprünglich vorgesehen 2003 sondern erst 2006 einsetzen.

Nun war der schwarze Peter wieder beim Parlament. Das wusste auch die Autolobby, deren Vertreter sich in den kommenden Monaten in Brüssel und Straßburg die Klinke in die Hand gaben. Abgeordnete berichteten, noch selten einem solchen Druck ausgesetzt gewesen zu sein. Vor allem die deutschen Autohersteller drohten massiv: Die Kosten für die Entsorgung könnten sie gegenüber der asiatischen Konkurrenz so ins Hintertreffen bringen, dass europaweit zwei Millionen Arbeitsplätze in Gefahr seien.

Das Argument zog nicht. Die Hoffnung der Autobauer ruht nun auf dem Vermittlungsausschuss. Der Ministerrat wird aber möglicherweise die Änderungsanträge des Parlaments hinnehmen und den Vermittlungsausschuss zu umgehen versuchen. Dann bleibt der Autoindustrie nur noch, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg davon zu überzeugen, dass die neue Richtlinie sie auf dem Weltmarkt benachteiligt.