: Mit Verstand ins neue Berlin
Wenn es mit dem Kommunismus nichts wird, trifft man sich halt irgendwo um sechs: Die Kreuzberger Kneipe Mysliwska als Gegenstand einer Ausstellung im Kunsthaus Bethanien
Die Kneipe scheint als sozialer Raum zumindest in Berlin immer mehr in das Zentrum des Interesses zu rücken. Das sonst eher ein wenig mau in Schöneberg vor sich hin dümpelnde Kumpelnest 3000 aufersteht noch einmal als Legende auf der Bühne; die einstige Proletenverköstigungsstätte Kaffee Burger in der Torstraße wird seit ihrer Wiedereröffnung von Feuilletonisten und Feuilletonistinnen regelrecht heimgesucht; um das Café M, das Café Anfall oder das Ici werden unzählige Mythen gesponnen. Und nun wird auch das still in einer Ecke von Kreuzberg wartende Mysliwska in den Rang einer Kunststätte erhoben und vom Kunstamt Kreuzberg im Haus Bethanien mit einer Ausstellung bedacht.
Nun liegt das Mysliwska – gemessen an den neuen Berliner Raumgrenzen – eher ungünstig in der tourismusfreien Zone zwischen Schlesischem Tor und Treptow. Man könnte denken, dass es eigentlich nur eine kleine Kiezkneipe sei. Und wenn man das Mysliwska betritt, glaubt man sich zunächst auch im toten Teil Kreuzbergs, dem größten Verlierer der Einheit. Von längst geschlagenen Schlachten meint man es raunen zu hören, wenn da ein paar Typen am Tresen ihre Gläser heben.
Aber denkstepiep, das Mysliwska redet nicht selig von einer besseren Vergangenheit, in der die Revolution nur einsfuffzig kostete. Im Gegenteil, es steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Gegenwart. Die meisten der hier Anwesenden sind als Künstler und Künstlerinnen, Kritikerinnen oder Journalisten tatsächlich Funktionsträger im neuen Berlin. Sie sind in den veränderten Verhältnissen des Nachwende-Berlin angekommen und haben ihren Verstand mitnehmen können. Gesoffen wird hier natürlich trotzdem.
Warum aber wird die Kneipe als Ort für die DJs des Kunstbetriebes, die Ausstellungsmacher, so interessant? Nach dem Verlust der ideologischen Überbauten und dem bald folgenden Verlust des Subjekts scheint nur noch der Ort, an dem man sich aufhält, als künstlerischer Aktionsrahmen übrig zu bleiben.
„Wenn es mit dem Kommunismus nichts ist, trifft man sich halt irgendwo um sechs“, hat Dietmar Dath einst gesagt. Die Kneipe ist also offenbar für diejenigen, die eine non-elitaristische Form von Öffentlichkeit und Kommunikation bevorzugen, der letzte Rückzugsraum. Dementsprechend reagieren die Ausstellenden. Private Einblicke, Bierdeckelbildchen, Masturbationsszenen und Witze werden von den mehr als vierzig Künstlerinnen und Künstlern, die dort ausstellen, mit dem Mysliwska verkoppelt; Videos, Installationen und Zeichnungen zeigen das Trinken von Bier, das Herumstehen, Herumreden und Herummachen an der Theke. Alkohol gilt in dieser Ausstellung als der kleinste gemeinsame Nenner. Andere Bilder, Installationen und Dias ergänzen dieses Kneipenleben durch Innenansichten, Reisefotos und Zeitkritisches. So zeigt Karsten Konrad mit seinem Werk „Disco“ eine zertanzte Tanzfläche. Das Private und Intime wird an den öffentlichen Ort gebunden. Im Mysliwska wird gewohnt.
Doch dass das Leben auf diese Weise in Kunst gegossen werden soll, nimmt der Klammer Mysliwska ihren Sinn: An den Wänden eines Ausstellungsraumes bleiben nur vereinzelte Kunstwerke über, die Ausstellung wir da nur vage zusammengehalten durch die Bekanntschaft der Künstler mit sich oder mit dem Ort. So entsteht der Eindruck, als sei hier versucht worden die Kneipe mit einem Inhalt zu überformen. Das wiederum lässt das Ausstellungsprinzip beliebig erscheinen.
Hätte die Ausstellung im Mysliwska selbst stattgefunden, wäre die Klammer sichtbar geworden. So stehen Ort und Inhalt jedoch nur nebeneinander und ergänzen sich kaum. Jörg Sundermeier
Bis zum 19. März, dienstags bis sonntags von 12 bis 18 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
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