: Krass die Handyschwester machen
„Und billig, da stehst du doch drauf!“ Berliner Clubkinder wissen, wie man am schnellsten seine fünfzehn Minuten lang berühmt wird: Sie modeln. Ein Bericht aus dem Innenleben einer Castingagentur ■ Von Daniel Boese
„In der Zukunft wird jeder fünfzehn Minuten lang berühmt sein.“ Ein Satz von Andy Warhol, der berühmt geworden ist und natürlich immer wieder gerne zitiert wird, wenn es um unsere Mediengesellschaft geht. Bewahrheitet aber hat er sich wirklich mehr als genug: Reicht es doch mittlerweile, so blöd wie es nur geht „Maschendrahtzaun“ zu sagen, und schon landen 80.000 Mark Tantiemen auf dem Girokonto!
Doch wie wird man denn nun eigentlich eine 15-Minuten-Berühmtheit, die sich nicht komplett lächerlich macht, sondern ein bisschen Glamour und Sexappeal verstreut? Zumindest für die Berliner Clubkinder gibt es da überhaupt keine Frage: Ein bisschen nebenher Modeln verhilft zum fame. Schließlich kennt man immer irgendjemand, der sich schon mal bei einer Agentur vorgestellt hat, gecastet wurde und nun modelt. Und dann braucht es nicht mal fünfzehn Minuten, um sich mit einem Satz in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben: „Und billig, da stehst du doch drauf“!
Der Satz stammt aus einem Werbespot für Handys. Dort steht ein ziemlich arrogantes Mädchen mit schwarz glänzendem Pony vor dem Spiegel einer Damentoilette, schminkt sich, und nach einigem Hin und Her disst sie mit genanntem Spruch ihre Nachbarin ein Waschbecken weiter.
Ein Spot, der seine Spuren hinterlassen hat. Vor allem sein knuffiger Schlusssatz ist zum coolen Spruch der Stunde avanciert – da stehen wir doch alle drauf! Die schwarzhaarige Zicke aus diesem Spot heißt Caroline Korneli, ist 19 Jahre alt und hat vor einem halben Jahr ihr Abitur gemacht.
Ihre nicht untypische Low-Commitment-Modelkarriere begann mit einem klugen Teenager-Schachzug. Sie begleitete ganz einfach ihre „sehr gutaussehende“ Freundin, die auf der Straße von einer Castingagentur angesprochen wurde: „Ich wusste ja, wie das läuft, man geht da so mit und kuckt mal, und dann sagen die: Bleib doch mal da, wir machen gleich mal ein Pola.“ Auf das erste „Pola“, meint Polaroid, folgte ein Cover auf dem einstigen DIN-A-6-Stadtmagazin Partysan, ein Spot für ein Reisebüro und schließlich die Handywerbung. Verantwortlich für diesen Werdegang ist eine Berliner Castingagentur mit dem sinnigen Namen „typeface“. Neben Aufträgen für Größen wie Sisley, Bank 24 oder Joop versorgt sie auch viele Modestrecken für den Flyer, Partysan oder sogar Zitty mit ihren Szenegesichtern. „typeface“ sitzt erstaunlicherweise nicht in Mitte, sondern im vierten Stock eines Kreuzberger Hinterhofs.
Schöne junge Mitarbeiter schwirren hier geschäftig durch die Räume einer ganzen Loftetage, die Wände sind strahlend weiß, in der Lounge für Gäste stehen ausrangierte Flugzeugsitze. Während in der Lounge ein Mädchen nach dem anderen für ein nächstes Casting einläuft, erklärt Inka Stelljes, Mitinhaberin und Gründerin der Agentur, die Philosophie von „typeface“: „Als wir begannen, ging es uns um einen anderen Begriff von Schönheit. Nicht das klassische Schönheitsideal, sondern Menschen, die etwas Persönliches besitzen. Am Anfang lachte man noch über uns, weil unsere Leute keine ordentlichen Setkarten, kein fertiges Material hatten. Aber sie wurden gebucht!“
Und sie liegen im Trend. Denn Stelljes meint, dass nach den englischen Fotografen von ID oder The Face jetzt auch die deutschen Werbeagenturen begreifen würden, dass es nicht nur um Glamour geht, sondern auch um Ausdruck, Originalität und Charakter.
Da passen die jungen Berliner Gesichter, die nicht nur so aussehen, als ob sie gleich nach dem Foto ins WMF gingen, sondern das auch wirklich tun, voll ins Konzept. Und wie das Casting von Caroline beweist, bringt „typeface“ die Gesichter tatsächlich aus dem Club oder dem Café in Mitte vor die Kamera: „Um die Kartei aufzubauen, haben wir am Anfang alle Leute auf der Straße angesprochen“, erzählt Inka Stelljes, die nur ungern Interviews gibt und sehr froh darüber ist, nur hinter der Kamera zu stehen.
Bei dem Straßencasting rannte sie zusammen mit ihren Mitarbeitern offene Türen ein, das Interesse an Modeljobs ist ziemlich groß: „Immer am Dienstag haben wir das offene Casting, da tauchen schon mal 30 Menschen über den Tag verteilt auf, das läuft durch Mundpropaganda. Wir nehmen aber nicht jeden auf, wenn wir merken, dass das nicht so läuft.“
Der nächste Schritt auf dem Weg zur Werbeberühmtheit ist dann das Videocasting: Hier muss jeder durch. Und das nicht nur einmal, wie die Models bei „typeface“ erzählen, sondern so oft, bis es nicht mehr aufregend ist und „man vor der Kamera ganz man selber ist“. Sagen sie alle. Also vor die Videokamera treten und sich vorstellen: Einfach erzählen, was man so macht, wenn man nicht gerade vor einen Videokamera steht. Und dann natürlich die Szene spielen, die gedreht werden soll, immer ganz natürlich, keine Frage. Dazu bekommt man vorher einen literarischen Text, in dem steht, wie die Werber sich vorstellen, was das Model denken und fühlen soll, vor allem aber wie es aussehen soll: „Immer wieder geht dein Ausdruck zwischen Angst und Amüsiertheit hin und her, große Augen, offener Mund.“
Und dann bitte am Ende noch die Hände zeigen, von beiden Seiten, es könnte ja sein, dass die so hässlich sind, dass ein Handdouble gebucht werden muss! Das war’s dann, die Agentur meldet sich.
Bei Caroline Korneli haben sie sich gemeldet, was ihr gelegen kam, der Wunsch berühmt zu werden ist ihr nicht fremd. Sie gibt das mit einem Lächeln und ohne zu zögern zu, und ihre anderen Aktivitäten beweisen das: Ab Mitte Februar hat sie eine eigene Radiosendung bei Fritz, „Caro-As“(!). Und als Schauspielerin kann man sie bald in einem Soap-Opera-Theaterstück im Tacheles sehen.
Insofern macht sie sich über den Marktwert von Gesichtern mit Persönlichkeit auch keine Illusionen: „Die Werber wollen immer eine Frischheit, und wenn du zwei, drei Sachen gemacht hat, wird das uninteressant. Dann kennt man schon, was dein Gesicht so kann.“
Mit dem Modeln sieht sie das eher locker. Freut sich, wenn etwas klappt. Und ärgert sich darüber, dass sie mit Jeans und blauem Kleidchen dicker aussieht als sie ist. Schlimmer als das waren aber die anderen Gefahren, die der Clip mit sich gebracht hat: „Der Spot hätte auch schlecht werden können! Ich wusste ja vorher überhaupt nicht, dass der so oft läuft und von so vielen Leuten gesehen wird. Es wäre nicht so schön gewesen, wenn die dann alle auf mich zugekommen wären und gesagt hätten: Mensch Caro, da kannst du voll krass einen auf Handyschwester machen!“
Glück gehabt, Caroline, die fünfzehn Minuten waren nicht peinlich, sondern wir standen drauf!
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