: Vor der Bahnhofstür erfroren
Trauerfeier an der Friedrichstraße für ersten Kältetoten des Jahres
Zwischen Fahrkahrtenschalter und „Mister Minit“ erlebten die Passanten im Bahnhof Friedrichstraße gestern morgen eine Trauerfeier.
Etwa 60 Menschen erinnerten mit Liedern, in Reden und auf Transparenten an den ersten Kältetoten im Jahr 2000, Willi King. Der Verein „mob – Obdachlose machen mobil e.V.“ hatte die Veranstaltung organisiert. „Wir wollen eine Zwischenform aus Trauerfeier und politischer Aktion. Darum sind wir an den Ort gegangen, wo Willi gelebt hat“, sagte der Vorsitzende des Vereins, Stefan Schneider. Eine Beerdigungsfeier an Kings Grab wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Die Freunde und Kollegen wissen nicht einmal, ob er schon beerdigt worden ist.
Wie viele der Trauernden war Willi King zu Lebzeiten Verkäufer des Obdachlosenmagazins Straßenzeitung, der S-Bahnhof gehörte zu seinem Verkaufsbereich. Er galt als Einzelgänger, jemand, der sich in der Zwangsgemeinschaft von Notunterkünften nicht wohl fühlte. Darum hatte er Erfahrung im „Platte machen“. „Der wusste genau, wann er draußen schlafen kann, und wann es zu kalt ist“, so die Einschätzung von Kathrin Kantereit, einer Freundin. In der Nacht vom 23. zum 24. Januar starb Willi King vor dem Bahnhofsgebäude den Kältetod.
Die Kollegen glauben, dass King, der an einer Lungenentzündung litt, von Wachschützern der Bahn AG aus dem beheizten Bereich vertrieben wurde. Auch habe man die Möglichkeit versäumt, den Wärmebus anzurufen, der Obdachlose zu Notunterkünften fährt. Karsten Krampitz, Redakteur der Straßenzeitung, warf der Bahnschutzgesellschaft unterlassene Hifeleistung vor. Die privaten Sicherheitsdienste stünden weniger im Dienst der Sicherheit, sondern dienten einem Verständnis von „Sauberkeit“, das sichtbare Armut zunehmend als „ästhetisches Problem“ betrachte.
Während der 30-minütigen Veranstaltung hielten sich Polizei und Wachschutz im Hintergrund. Passanten bekamen ein Flugblatt, das den Todesfall schilderte. Die Trauergemeinde ließ ein Transparent und zwei Blumensträuße zurück. Schon am Mittag waren sie abgeräumt. Frauke Niemeyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen