Auswege aus dem Scheindilemma

Wird der Held die Pappwand zerfetzen? Mit Billboards und Hollywood-Adaptionen zeigt Markus Richter in Dresden, wie stark Film als populäres Medium in den Kunstbetrieb eingesickert ist ■ Von Susanne Altmann

Ist Kultur bloße „Wandverschalung, um das Rohe zu beschönigen und etwaige Risse zu verdecken“? Mit der praktischen Adaption dieser These des Medienphilosophen Vilém Flusser unternimmt der Dresdner Künstler Markus Richter zugleich deren Demontage. Die Wände, die er entwirft, sind transportabel, haben Ekzeme, Löcher oder sind sonst irgendwie undicht. Zumindest sickert es bisweilen schwärzlich aus ihnen hervor. Kultur als Attrappe – für einen Künstler (zumal aus einer Malerschule) ein heißes Eisen, das der 1969 geborene Richter erstaunlich kühl anfasst.

Dabei attackiert Richter nüchtern und beherzt sein eigenes Medium, thematisiert die Brüchigkeit so genannter Hochkultur und knackt die Verschalungen, die er eigens zu diesem Zweck konstruiert hat. Den sukzessiven Zerfall von schützenden Außenhäuten stellt er folgerichtig an Menschen- ebenso wie an Baukörpern fest und wertet die kriminalisierte, anonyme Kunst des Graffito als einen urbanen Artikulationsversuch, der mit seinem eigenen Ansatz durchaus vergleichbar ist.

In seiner neuesten Arbeit „Echo“ haben sich die Elemente fast ganz von der Wand gelöst und verstellen als nackte Kulissen den Weg. Der Ort „dahinter“ wird schwammig und der Sinn kultureller Verschalung von angestrahlten Sperrholzpaneelen ins Lächerliche verzerrt. In diesem Szenario vollzieht sich bei Richter die Durchdringung von High- und Low-Kultur: Unbesorgt definiert die amerikanische Kritikerin Jan Avgikos im Katalog zur Dresdner Ausstellung denn auch Massenkultur als kleinsten gemeinsamen Nenner und deren künstlerische Adaption ganz richtig als globales Esperanto.

Mit dem Konzept für „Echo“ ist Markus Richter letztes Jahr von einem sechsmonatigen Studienaufenthalt an der New Yorker Columbia Universität zurückgekehrt. Als erster Philip-Morris-Stipendiat (Visual Arts Dpt.) bezieht er nun das amerikanischste aller Esperantos in seine Arbeit ein: Während bereits die Stellwände von „Echo“ an die flüchtige Architektur eines Filmstudios erinnern, weist ein riesiger Digitaldruck in Richtung Hollywood. Wes Cravens Thriller „Scream“ diente als Vorlage für die nachgestellte Szene. Der Protagonist, als Torso vorgeführt, hält das schnurlose Telefon in der einen, das Messer in der anderen Hand. Alternativen des Handelns spannen sich zwischen der brachialen und der digitalen Methode – Richter beamt uns entschlossen auf die Metaebene. Was bietet den Ausweg aus dem Scheindilemma: Wird der Held die Pappwand zerfetzen à la „Truman Show“ oder wird er den rettenden Code knacken, so wie in „Matrix“?

Wohlgemerkt, eines geschieht hier gerade nicht: die beliebte Verwendung von Werbe- bzw. Medienästhetik als wohlfeiles Readymade, das sich dann als affirmativ übersteigertes Kunstprodukt subversiv gebärdet. Richters Environments sind alles andere als kommentarlose 1:1-Repliken. Sie irritieren vielmehr dadurch, dass sie Illusion und Künstlichkeit bei ihren angestammten Namen rufen: Das „wahre“ Leben scheint durch die schillernde Brille diverser Schlüsselfilme bereits interpretiert und nimmt oft szenische Züge an, die Ursache und Wirkung als Frage des Standpunktes dastehen lassen. Selbst die Tragödie von Littleton während seines Studienaufenthaltes sensibilisierte Richter für jene Verdrehungen der Wahrnehmung. Das Böse hat seinen Platz unter dem Cape sinistrer Finsterlinge längst verlassen, tummelt sich pionierhaft in jedem neuen Medium und bevorzugt Kleinstädte mit Internetanbindung.

Mit der Verkunstung von eher zweitklassigem Filmmaterial befindet sich Markus Richter in exzellenter Gesellschaft. Man denke da etwa an die 1998er Produktion der Wooster Group „House/Lights“, wo sich in spielerischer Konfrontation High in Form von Gertrude Steins Faust-Text mit Low als einem Sadomaso-B-Movie begegneten. Oder nehmen wir Douglas Gordons flackernde Verfremdung von Otto Premingers Missgriff „Whirlpool“, die letztes Jahr in New York ausgestellt war.

Liegt es womöglich am Sog der Ostküste, wenn sich nun auch Richter auf Film bezieht? An der Dresdner Hochschule für bildende Künste, die Richter vor vier Jahren als Absolvent verließ, hat mit ProfessorInnen wie Grossarth, Bosslet, Honert und Dammbeck die Malerei ihr Primat verloren, zugunsten einer gelungenen Balance. Hier im Senatssaal der HfbK wird nun „Echo“ gezeigt, und der Künstler weiß genau, warum er den trauten Kokoschka-Blick aufs gegenüberliegende Elbufer mit Spiegelfolie zuhängt – und sachte sickert die Hochkultur durch die Risse ...Markus Richter: „Echo“, bis 20. 2., Hochschule für bildende Künste, Dresden