: Tribunal oder nur große Beichte?
In Kambodscha nimmt die Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer langsam Gestalt an. Umstritten ist dabei vor allem der Einfluss, den die Vereinten Nationen auf die angestrebten Verfahren haben sollen ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch
In meinen Träumen werde ich immer wieder von den Männern in der schwarzen Uniform verfolgt“, sagt Son Chhay. Der kambodschanische Parlamentarier ist damit nicht allein: 21 Jahre nachdem die schwarz gekleideten Bauernsoldaten der Roten Khmer aus der Hauptstadt Phnom Penh vertrieben wurden, bleibt der Schrecken allgegenwärtig – nachts, in den Albträumen der Kambodschaner. Dann werden die Erinnerungen an die „drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage“ lebendig, als Pol Pot und seine Leute quasi über Nacht eine kommunistische Gesellschaft erzwingen wollten: Vor dem inneren Auge der Überlebenden erscheinen ihre Männer, Frauen, Väter, Mütter, die sie als „Verräter“ denunzierten, um das eigene Leben zu retten. Sie denken daran, wie Kinder gezwungen wurden, ihre Eltern im Namen der Revolution zu ermorden. Weit über eine Million Menschen starben.
Jetzt will Premierminister Hun Sen die Verantwortlichen der Roten Khmer in Phnom Penh vor Gericht stellen. Im Rechtsausschuss des Parlaments diskutierten die Abgeordneten vergangene Woche einen Gesetzentwurf, der die Voraussetzungen für ein Verfahren „noch in diesem Jahr“ schaffen soll. Doch ob ein kambodschanischer Prozess dazu beitragen wird, „den Terror im Herzen“ zu konfrontieren und den „Hunger nach Gerechtigkeit und Wahrheit (Son Chhay) zu befriedigen – das ist in Kambodscha so umstritten wie im Ausland. Verhandlungen zwischen Hun Sen und UN-Generalsekretär Kofi Annan über eine Zusammenarbeit von internationalen und kambodschanischen Juristen stecken in der Sackgasse.
Kambodschas Regierungschef ist mal mehr, mal weniger bereit zum Tribunal. Dabei schienen die Voraussetzungen dafür noch nie so günstig wie jetzt: Die letzten überlebenden Führer der Roten Khmer waren nach dem Tod Pol Pots im April 1998 zur Regierung übergelaufen. Der berüchtigte Ex-Militärchef Ta Mok und der heute „wiedergeborene Christ“ Deuch, in dessen Foltergefängnis Tuol Sleng fast 20.000 Menschen umkamen, sitzen im Gefängnis. Noch 1997 baten die beiden damaligen Ko-Premierminister Hun Sen und Prinz Norodom Ranariddh die UNO um Unterstützung. Doch nachdem UN-Juristen ein internationales Tribunal forderten, weil die korrupte und von der Regierung abhängige kambodschanische Justiz zu einem fairen Verfahren völlig „unfähig“ sei, wendete sich das Blatt: Nun lehnte Hun Sen ein Verfahren im Ausland strikt ab.
Auf internationalen Druck hin bot der Premier im Januar eine „Kompromisslösung“ an: Ausländische Richter und Staatsanwälte können danach an den Verfahren beteiligt werden. Allerdings dürfen, so der Regierungsentwurf, die kambodschanischen Kollegen in keinem Fall überstimmt werden.
UN-Generalsekretär Annan reagierte am Dienstag darauf in einem Brief an Hun Sen, der aber nicht veröffentlicht wurde. Die UNO verlangt, heißt es in New York, dass ausländische Staatsanwälte gegen bestimmte Rote Khmer Anklage erheben dürfen, auch wenn die kambodschanischen Juristen dagegen sind.
Es geht also darum, wer die Fäden in dem Prozess zieht: Wer entscheidet, welche Führer der Roten Khmer angeklagt werden? Was geschieht mit Leuten wie Ex-Außenminister Ieng Sary oder der berüchtigten Nr. 2, Nuon Chea, die ebenso wie Ex-Präsident Khieu Samphan frei und abgeschirmt im Südwesten Kambodschas leben? Was ist mit den früheren Roten Khmer, die Posten in Armee und Regierung haben? Wer muss als Zeuge aussagen? Wer urteilt?
An Beweisen über den Terror jener Zeit mangelt es nicht: Im Völkermord-Dokumentationszentrum in Phnom Penh sind zehntausende Akten gesammelt, in denen Sicherheitschef Deuch und seine Leute buchhalterisch Geständnisse, Folterberichte und Todeszahlen aufzeichneten. Erst vor kurzem tauchten erstmals Tonbänder von Verhören im Tuol-Sleng-Gefängnis auf. Der US-Journalist Nate Thayer, der Pol Pot und andere Führer interviewen konnte, besitzt nach eigenen Aussagen fast hundert Stunden Interviewkassetten, auf denen Deuch und Ta Mok auch darüber sprechen, wer die Befehle zu „Säuberungen“ gab.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nennt Bedingungen für einen akzeptablen Prozess: Danach sollte der UN-Generalsekretär ein Vetorecht bei der Ernennung aller Richter und Staatsanwälte haben. Das Gericht müsse auch ausländische Verteidiger zulassen und die Zeugen vor Einschüchterung oder Racheaktionen schützen. Für Sorn Samnang von der neu gegründeten Königlichen Akademie Kambodschas steht außer Frage, dass „wir Kambodschaner darüber bestimmen müssen, wie wir mit unserer Geschichte umgehen“. Wie sein Regierungschef findet der Historiker Sorn, der in den 80er-Jahren in Paris studierte, dass die Ausländer „nicht das Recht haben, sich einzumischen“. Außerdem, warnt er, müssen wir „vorsichtig gegen die Roten Khmer vorgehen, damit die nicht aus Angst vor dem Prozess in den Dschungel zurückkehren und der Krieg von neuem beginnt“.
Lao Mong Hay, anerkannter Leiter des „Kambodschanischen Institutes für Demokratie“ in Phnom Penh, gehört hingegen zu jenen, die stets ein internationales Tribunal forderten. „Wenn das nicht möglich ist“, sagt er, „dann sollten wir ganz auf einen Prozess verzichten – das ist besser als eine Farce vor einem lokalen Gericht, die dem alten Unrecht neues Unrecht hinzufügt.“ Eine von vielen Kambodschanern favorisierte Wahrheitskommission hält er für unrealistisch: „Anders als in Südafrika haben wir in Kambodscha niemand, dem die Menschen vertrauen. Es gibt keinen Bischof Tutu, keinen Nelson Mandela.“
Als Alternative schlägt Lao Mong Hay inzwischen eine „Große Beichte “ vor: Dabei sollte, sagt er, die Führung der Roten Khmer im Stadion von Phnom Penh unter den Augen von König Sihanouk und der Bevölkerung ihre Verbrechen gestehen und um Vergebung flehen. Wenn die Reue aus dem Herzen komme, „wird das Volk den König um Amnestie“ bitten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen