: „Der Film muss Traum sein“
■ Ein Gespräch mit dem Regisseur Sanjay Leela Bhansali über das Gefühlskino aus Indien und die kleinen sozialen Revolutionen in seinem Film „Hum Dil De Chuke Sanam“
Sanjay Leela Bhansali (35) gehört zu den indischen Nachwuchsregisseuren, die versuchen, das kommerzielle Bollywood-Kino mit modernen Inhalten und gesellschaftskritischen Thesen zu unterlaufen. Der mehr als drei Stunden lange „Hum Dil De Chuke Sanam“ war mit ca. sechs Millionen US-Dollar nicht nur eine der teuersten, sondern auch eine der erfolgreichsten indischen Produktionen des letzten Jahres. In dem Musical muss sich Nandini, gespielt von der ehemaligen Miss World Aishwarya Rai, entscheiden: zwischen einem die Moderne repräsentierenden, in Italien aufgewachsenen Sänger – und ihrem selbstlosen Ehegatten.
taz: Herr Bhansali, Ihr neuer Film „Hum Dil De Chuke Sanam“ wirkt wie ein langer, farbenfroher Traum. Muss Kino so aussehen, um in Indien erfolgreich zu sein?
Sanjay Leela Bhansali: So ist es. Ein Film muss farbenfroh und er muss lang sein, denn das Publikum liebt Filme, die zweieinhalb oder drei Stunden dauern. Es muss viele Lieder und Tanz geben. Das Paket muss stimmen, damit der Film an der Kinokasse erfolgreich ist. Aber es ist sehr schwierig, die Balance zwischen all diesen Elementen zu finden, denn das indische Publikum ist in sich sehr verschieden: Das reicht durch alle Kasten, die Ärmsten sitzen im gleichen Kino wie die Oberschicht. Die Unterschiede im Publikum sind immens.
Sie haben gesagt, Ihr erster Film „Khamoshi“ floppte finanziell, weil „die Menschen im Kino kein Leiden sehen wollen, denn sie leiden schon im wahren Leben“. Mussten Sie Ideale aufgeben für Ihren neuen Film?
Nein. Die Story ist immer noch sehr ungewöhnlich für das populäre indische Kino, ich habe sie nur besser verpackt. Vor allem der Aspekt, dass der Ehemann seine Frau nach Italien bringt, um sie dort mit ihrem Liebhaber zusammenzubringen. Da gab es viele Zweifel, ob das vom normalen männlichen Zuschauer akzeptiert würde.
Das war also eine kleine Revolution?
Ja. Denn immer noch werden Ehefrauen weitgehend als das Eigentum ihrer Männer gesehen. Mit dieser Rolle wird sozusagen der indische Ehemann neu definiert. Deshalb haben vor allem Frauen den Film geliebt.
Am Ende entscheidet sich die Heldin Nandini für die Liebe und die Tradition, sie beginnt ihren Ehemann zu lieben. Haben Sie versucht die beiden Kräfte miteinander zu versöhnen, die die indische Gesellschaft zu zerreißen drohen: Tradition und Moderne?
Nein, denn ich glaube, dass manche unserer Traditionen wie die Ehe immer noch sehr modern sind, sie sind zeitlos. Nandini geht nicht wegen der Konvention zurück zu ihrem Ehemann, sondern weil sie die selbstlose Liebe erwidert, die er ihr entgegenbringt. Veränderung nur um der Veränderung willen, das ist nicht gut.
Spielen Filme in Indien eine wichtige Rolle in der Diskussion solcher Themen?
Wenn Filme unterhalten und den Mann auf der Straße erreichen, dann haben sie die Macht, eine Diskussion in Gang zu setzen. Aber wenn der Film als Film abgelehnt wird, kann das erst gar nicht passieren. Kino hat eine große Macht in Indien, denn jeder geht ins Kino und in wohl keinem anderen Land werden Filme vom Publikum so ernst genommen.
Für Europäer wirkt es komisch, dass Italiener ungarisch sprechen und in der italienischen Kneipe Teufelsgeiger aufspielen. Bemerkt ein indisches Publikum diese Ungenauigkeiten?
Nein, tut es nicht. Wir haben in Budapest gedreht, weil es eine wunderschöne Stadt ist und weil wir uns Italien nicht leisten konnten, obwohl wir ein für indische Verhältnisse großes Budget hatten. Andererseits wüssten die Leute bei uns gar nicht, wo und was Budapest ist. Italien ist bekannter, das kennen die Menschen, dazu haben sie eine Beziehung.
Ist Bollywood möglicherweise die letzte Filmindustrie weltweit, die Kino immer noch als große Illusion aufrecht erhält?
Wegen der großen sozialen Probleme muss wenigstens der Film wie ein Traum, wie eine Illusion aussehen und möglichst weit von der Realität entfernt sein. Die Menschen wollen in dieser Traumwelt leben, sie wollen die Figuren im Film werden. Star-System und Glamour vervollständigen die Traumfabrik.
Der Exil-Markt wird immer wichtiger, aber der Einfluss des Auslands scheint immer noch minimal zu sein.
Ich glaube, der Einfluss von Hollywood ist sehr groß. Es werden viele Adaptionen amerikanischer Filme gemacht. Aber es gibt da einen Konflikt: Der Einfluss ist zwar da, jeder möchte Filme wie in Hollywood machen. Aber das indische Publikum ist ein völlig anderes, es ist immer noch sehr in seinen Traditionen verwurzelt.
Bekommen Sie nach ihrem Erfolg viele Angebote?
Ja, aber ich werde weiterhin nur einen Film zur gleichen Zeit machen, und dann brauche ich für jeden Film zweieinhalb Jahre.
Zweieinhalb Jahre? Ist das normal?
Ja, daran ist das Star-Sytsem schuld. Weil die Stars so begehrt sind, drehen sie zwölf bis fünfzehn Filme gleichzeitig. Das sorgt natürlich für eine Menge Planungsschwierigkeiten. Deswegen arbeiten die meisten Regisseure auch an mindestens drei Filmen gleichzeitig. Mir ist das aber sowohl psychisch als auch mental unmöglich.
Interview: Thomas Winkler
„Hum Dil De Chuke Sanam“. Regie: Sanjay Leela Bhansali, mit Salman Khan, Ajay Devgan, Indien, 187 Min. Heute, 24 Uhr Delphi; 12. 2., 11.30 Uhr Cinestar 5 und 22 Uhr Cinestar 8.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen