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Altar im Sperrmüll

Ein Buch und eine Ausstellung erinnern daran, wie die Hamburger vor 200 Jahren ihren Dom abrissen und entsorgten  ■ Von Rudolf Merget

Zeugnisse vom mittelalterlichen Hamburg, der nach Lübeck zweitwichtigsten Stadt der Hanse, sind heute nur noch selten zu finden. Mit seinem Buch „Versunkene Kunstgeschichte“ hat Volker Plagemann, Kunstwissenschaftler und Senatsdirektor der Kulturbehörde, eine umfassende Darstellung der Kunstgeschichte des Mittelalters in der Hansestadt vorgelegt. Gleichzeitig erhellt die Ausstellung „Goldgrund und Himmelslicht“ in der Kunsthalle – mit dem Hauptaltar aus dem ehemaligen Mariendom als Prunkstück – jene Epoche.

Aus heutiger Sicht nicht zu begreifen ist zum Beispiel, dass die Hamburger zwischen 1804 und 1806 ihre zentrale Kathedrale abrissen. Der Untergang der Kirche vollzog sich, wie der Autor beschreibt, nüchtern und ohne Protest. Die Abrissmasse fand für Deich- und andere Wasserbaumaßnahmen Verwendung. Die Kunstschätze wurden versteigert, manche landeten auf dem Müll. Der Hauptaltar kam in abenteuerlicher Odyssee durch Schlesien, Westpreußen und Lodz nach Warschau ins polnische Nationalmuseum. Zwischen 1997 und 1998 ist das Kunstwerk mit Hilfe der Denkmalspflege und privater Finanzierung in Hamburg restauriert worden – an jenem Ort, an dem es seit 1499 mit seinen Darstellungen aus Marias Leben über 300 Jahre den Dom geziert hatte.

Über die Motive zum Abbruch der Domkirche sind verschiedene Versionen im Umlauf. Sie reichen von Baufälligkeit über rein finanzielle oder politische Gründe bis zu der Tatsache, dass die Stadt mit ihren fünf Hauptkirchen damals für den Dom keine rechte Verwendung hatte.

Dessen Geschichte reicht zurück bis zur Errichtung einer Bischofskirche im Wesentlichen aus Holzbauteilen im Jahre 834. Erst 1035 hatte Erzbischof Bezelin mit dem Bau einer Kirche aus Stein begonnen. Seit dem 13. Jahrhundert wurde der neue gotische Dom hochgezogen, eine dreischiffige, später fünfschiffige Halle mit einem Turm. Heute erinnern nur noch ein Parkplatz in der City und das Volksfest als Nachfahre des Christmarktes an das ehemalige Gotteshaus.

„Versunkene Kunstgeschichte“, Verlag Dölling und Galitz, Hamburg, 285 Seiten, 48 Mark. Die Ausstellung „Goldgrund und Himmelslicht“ bis 5. März in der Hamburger Kunsthalle.

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