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Kein Respekt vor dem König des Dschungels

In Indien waren Tigerjagden einst gesellschaftliches Ereignis.Heute ist der Tiger immer noch der Gejagte ■ Von Tanja Busch

Ein altes Fort, von Moos bewachsen, gab ihm einst seinen Namen. Wir ruckeln mit dem Jeep in den Ranthambhore-Nationalpark. Das Gefährt bringt uns an lichten Wäldern vorbei. Zwischen Dhakbäumen äsen Damhirsche, zwei Babykrokodile dümpeln in einem See. Über uns flirren Papageienschwärme. Ein Paradies. Doch die meisten Teilnehmer der Safari wollen nur eins: den Tiger bestaunen. Die Chancen stehen gut in diesem Territorium im nordwestindischen Bundesstaat Rajasthan.

„Der lichte Wald sorgt dafür, dass man Tiger nirgendwo in der Welt so gut sehen kann wie in Ranthambhore“, erzählt Valmik Thapar, Indiens bekannter Tierfotograf und Regisseur der BBC-Dokumentarserie „Land of the Tiger“. Zum Nachteil der Raubkatze. Besucher geben den Fahrern Extrageld, um sich in die Gegend bringen zu lassen, in der die Tiger bevorzugt ihre Siesta halten. Immer mehr Jeeps steuerten in der vergangenen Zeit die Stelle am See an und störten das Wildtierrefugium. Das Forstministerium ließ daraufhin das Gebiet kurzerhand für Besucher sperren, damit die Tiger wenigstens an einer Stelle ihre Ruhe haben. Das löste Unruhe unter Reisebüroinhabern, Hoteliers und Fotografen aus; sie finden es ungerecht, dass ein BBC-Filmteam weiter mit seinen Jeeps in das Gebiet fahren darf, um dort zu filmen. Ihrer Ansicht nach wendet die Crew Methoden an, die gegen den Wildlife Protection Act verstoßen – sie habe zum Beispiel einen toten Bullen aus einem anderen Gebiet des Parks zum See gebracht und als Köder benutzt, um bessere Aufnahmen vom Tiger zu bekommen. Für Thapar, der das Filmteam betreut, gab es dennoch keine andere Wahl als die Sperrung. „Wenn ich könnte, würde ich den Tourismus ganz unterbinden und niemandem den Zutritt zum Park erlauben.“

Zusätzlich zu den Touristen durchkreuzen einmal pro Woche massenweise Pilger den Park auf dem Weg zum Fort – 5.000 bis 8.000 Menschen im Monat – und kommen dem Tiger ins Gehege. Und: Bis heute sind, so schätzt der BBC-Filmautor, 25 Tiger in dem Reservat illegal gejagt oder vergiftet worden. Die Felle bringen weniger, die Knochen mehr Geld ein. Zermahlen und als Zutat chinesischer Heilmittel werden sie gegen Arthritis und Rheuma eingenommen oder als so genannter Tigerwein von Männern konsumiert, die ihre Potenz stärken wollen. Es lässt sich schwer durchschauen, durch welche Kanäle die Knochen in südostasiatische Länder gelangen. „Es muss viele Wege und Routen geben“, erzählt Thapar. „Wir haben nur Informationen, dass Mittelsmänner die Knochen durch Ladakh, Nepal und Bangladesch nach China schmuggeln.“

Unser Safariführer, ein Mann mit schlackernder Stoffhose und zu großem Strickpullover, starrt suchend ins Gebüsch. Wir starren mit. Antilopen grasen zwischen Mangobäumen, Languren hocken auf alten Mauerresten. Kein Tiger, dafür Frauen, die mit Brennholz auf den Köpfen an uns vorbeiziehen – mitten im Kerngebiet, illegal.

In der Pufferzone, wo es eingeschränkt erlaubt ist, Holz zu sammeln oder Vieh grasen zu lassen, ist längst nichts mehr zu holen. Die stark wachsende Zahl von Menschen und Vieh hat dazu geführt, dass die relativ schmale Zone abgegrast ist. Daher drängen Siedler auf der Suche nach Wasser, Gras und Brennholz in die geschützte Kernzone. Parkhüter wurden wiederholt verletzt, als sie versuchten, illegal eingedrungene Hirten aus dem Park zu vertreiben. Die Übergriffe halten an. Im vergangenen Jahr musste Parkleiter G. Reddy Helme für seine Parkhüter ordern, vakante Stellen blieben offen, Mitarbeiter sind mit ihren Nerven am Ende. Thapar gibt sich fatalistisch: „Das ist ein Teil des Lebens in Indien. Die Polizei in Bombay hat Probleme, und auch die Parkhüter werden immer Probleme haben.“ Kein Politiker spricht sich gegen das Weiden aus, obwohl jeder weiß, dass der Landhunger täglich ein Stück des natürlichen Lebensraums der Tiger frisst. Die Menschen brennen für neue Äcker Lichtungen in den Wald, schlagen Bäume als Brennholz. Immer noch drängen 40.000 Stück Vieh in das Kerngebiet, reißen den Boden auf und rupfen Grasland kahl, bis es zur Steppe wird. In den vergangenen sieben Jahren wurden tausende von Quadratkilometern des Lebensraums der Tiger stark geschädigt oder gingen gar für immer verloren.

„Auf dem Park lastet ein unglaublicher Druck von außen“, klagt Thapar. „Wir brauchen eine Landbenutzungspolitik, die schützt.“ Seiner Ansicht nach müsste ein Ministerium zum Schutz der natürlichen Ressourcen eingerichtet werden.

Ob der Tiger aussterben wird? Vor einigen Jahren war Thapar noch pessimistischer, glaubte, dass es den Tiger zur Jahrtausendwende nicht mehr geben werde. „Es ist immerhin ein Sieg, dass er noch nicht ausgestorben ist.“ Einen großen Anteil daran haben seiner Meinung nach zwei Parkleiter, die seit fünf Jahren zusammen in Ranthambhore daran arbeiten, etwas vom Druck auf den Lebensraum zu nehmen. Durch ihr Engagement haben sich die Tiger wieder auf derzeit 30 vermehrt. „Wenn die beiden morgen nicht mehr da wären, würde das System kollabieren“, ist Thapar sich sicher; zu viel hänge von der Arbeit einzelner Personen ab.

Fateh Singh Rathore, lange Zeit Direktor des Parks und Indiens erfahrenster Tigerexperte, startete im vergangenen Jahr eine Intervention, die er Tiger Watch nannte, um das Parkmanagement zu unterstützen. Auch Thapar trägt seinen Teil dazu bei: „Ich konnte nicht länger dasitzen und nur Wildtiere beobachten.“ Mit seiner 1997 gegründeten „Ranthambhore-Foundation“ versucht er, gemeinsam mit den lokalen Gemeinden im Interesse des Parks zu arbeiten. Unterstützt vom World Wide Fund for Nature (WWF), hat er für Biogasanlagen gesorgt, Futterprogramme erarbeitet und eine Aufforstungsaktion gestartet. Bis jetzt haben seine Mitstreiter 150.000 Bäume auf den privaten Feldern außerhalb des Parks angepflanzt. Thapar: „Wenn mehr Bäume wachsen, löst das zwar nicht das Problem der Leute, aber man sollte es tun, um eine Alternative zu bieten. Ein Nationalpark ist nun mal kein Futtertrog für Kühe und Büffel.“

Auch das staatliche „Project Tiger“ setzt auf Aktionen, die das Miteinander von Mensch und Lebensraum fördern sollen; seit 1993 läuft Phase II – es werden leistungsfähige Haustiere gezüchtet, die Weidequalität wird verbessert und die Pufferzone mit Nutzhölzern aufgeforstet. Thapar ist sich allerdings sicher, dass ein großer Teil der 4 Millionen Dollar, die jährlich dafür bereitstehen, verschwendet werden: „Das Projekt ist eine reine Geldagentur.“ Wenig übrig hat er auch für die Weltbank, die 9 Millionen Dollar Hilfsgelder zugesagt hat: „Die Leute wissen gar nicht genau, was sie mit dem Geld machen sollen, und Geld löst nicht immer das Problem, schimpft er.

Ein Jeep kommt uns mit einer Ladung Touristen entgegen. Die strahlenden Gesichter unter Schlapphüten, Kapuzen und Wollmützen beweisen, dass sie den König der Wildtiere gesehen haben. Nach der nächsten Kurve steht das tierische Muskelpaket einfach da – umstellt von Jeeps. Während unser Gefährt in eine Lücke steuert, schubsen und drängeln sich Fotojäger auf dem Autodach in eine günstige Position. 200-mm-Zoomobjektive richten sich wie Gewehre auf das Opfer, verfolgen zentimeterweise jede Bewegung. Kaum schreitet der Tiger einige Schritte weiter, folgen die Jeeps ruckartig. Das Treffen ist in weniger als einer Minute vorbei. Das tierische Fotomodell gähnt zweimal – und trottet ins Gebüsch.

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