: Entsetzen über den Hitler-Enkel
Mit dem Machtantritt der FPÖ in Wien kommt in Polen lang unterdrückte Historie auf die Tagesordnung. Der Schock sitzt tief
Warschau (taz) – Wer Haider ist, wissen die Polen schon lange. Dass aber auch Hitler Österreicher war, ist für viele Polen neu. Seit Tagen berichten nun die polnischen Medien nicht nur seitenlang über die rechtsradikale Szene Österreichs und das „braune Gesicht Europas“, sondern bringen auch historisches Basiswissen. Erst jetzt erfahren die Polen, dass die Zensur jahrzehntelang Bücher verhindert hat, die auch die Beteiligung der Österreicher am Zweiten Weltkrieg thematisierten. In der Staatspropaganda führte immer ein gerader Weg von Friedrich dem Großen über Bismarck und Luther zu Adolf Hitler. Für viele Polen war „der Führer“ bislang ein protestantischer Preuße.
Aus diesem Grund hatte bislang kaum jemand in Polen die rechte Szene in Österreich ernst genommen. Gefährlich schien allein der Rechtsradikalismus in Deutschland zu sein. Dass nun Haider ganz ähnlich an die Macht kam wie einst Hitler, nämlich ganz demokratisch, ist für viele Polen ein Schock. In Krakau war die Enttäuschung und Empörung über „die Österreicher“ besonders groß. Demonstranten bewarfen das österreichische Konsulat mit Tomaten und Eiern. Etwas hilflos reagierte der Vizekonzul Clemiens Profohs am Tag darauf: „Das war kein glückliches Ereignis, aber auch kein schlimmes.“ Größerer Sachschaden sei nicht entstanden.
Auch in Warschau appellierten Demonstranten an das polnische Außenministerium, „bei einer Fortsetzung der chauvinistischen Politik der FPÖ, Druck auf die öffentliche Meinung Österreichs auszuüben – bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen“.
Für mögliche Sanktionen gegenüber Österreich sprechen sich sowohl Adam Michnik aus, der frühere Bürgerrechtler und heutige Chefredaktuer der bedeutendsten Zeitung Polens, Gazeta Wyborcza, als auch Wladyslaw Bartoszewski. Er verbrachte einige Jahre seiner Emigration in Österreich und wurde später dort erster Botschafter des unabhängigen Polens. Michnik hat einen Teil der Familie in den Nazi-KZs verloren, und Bartoszewski war selbst Auschwitz-Gefangener. Beide erinnern daran, dass schon einmal eine totalitäre Partei auf demokratischem Wege an die Macht gekommen sei. Europa habe gelernt, dass es nicht ein zweites Mal schweigen dürfe. Polen müsse die EU-Wertegemeinschaft unterstützen und verteidigen.
Das polnische Außenministerium reagierte zunächst verhalten. „Österreich ist ein wichtiger Partner Polens“, erklärte Pawel Dobrowolski, der Sprecher des Ministeriums. „Wir werden zunächst keine radikalen Schritte unternehmen.“ Vielmehr wolle man abwarten, wie sich die Politik der neuen österreichischen Regierung entwickle. Ministerpräsident Jerzy Buzek gab zu, dass er eine mögliche Blockade- oder Verzögerungspolitik bei der EU-Osterweiterung durch die Haider-Schüssel-Koalition befürchte.
Ganz anders reagieren die EU-Gegner in Polen. Sie halten die Warnung des EU-Präsidenten gegenüber Österreich für eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines demokratischen Staates“ und prophezeien Polen den Verlust der staatlichen Souveränität. Tatsächlich haben in Polen rechtsradikale Parteien Aufwind. Am populärsten ist Andrzej Lepper, der sich offen zu Josef Goebbels bekennt. „Der Führer“, wie ihn die polnischen Bauern nennen, hat eine „national-völkische“ Partei gegründet und will bei den nächsten Wahlen antreten.
Doch auf die eigene rechte Szene in der politischen Landschaft Polens geht in der Diskussion um Haider niemand ein. Zu tief sitzt der Schock darüber, dass mit Haider möglicherweise ein Enkel Hitlers an die Macht gekommen ist.
Gabriele Lesser
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