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„Heuer überleben wir noch . . .“

MigrantInnen in Wien leben in Angst vor offener Diskriminierung, Beratungsstellen fürchten die Schließung – doch die Welle der Solidarität im In- und Ausland macht Mut. Eine Bestandsaufnahme ■ Von Veronika Kabis-Alamba

„Kennst du jemanden, der Haider gewählt hat? – Ich auch nicht.“ Der Spruch ist zum geflügelten Wort in Wien geworden, keiner will’s gewesen sein. Doch gerade das verstärkt die irrationale Angst unter den MigrantInnen, berichtet Petruska Krcmar vom Verein FIBEL. In der Fraueninitiative bikultureller Ehen und Lebensgemeinschaften schlagen die Wellen hoch seit der Regierungsbildung von ÖVP und FPÖ. Diskussionen, Krisensitzungen und immer wieder die Frage: Wie wird es weitergehen? Die Wut auf die Politiker und jene, die sie gewählt haben, schlägt am Ende um in Trauer, die sie nach Hause mitnehmen, in den Familienkreis. Schließlich ist niemand mehr betroffen vom Regierungswechsel als die ZuwanderInnen und ihre Familienangehörigen. „Vielleicht ist das jetzt das Beste, dass der Haider am Ruder ist, vielleicht blamiert sich die Regierung so, dass sie bald abdanken muss, vielleicht richtet sie viel Schaden an, aber nicht so viel, dass er nicht repariert werden könnte.“

Integration ist nur mehr verbale Makulatur

Hoffnungen am seidenen Faden, so richtig daran glauben kann die Fibel-Mitarbeiterin im Moment nicht. Wie auch die anderen Vereine und Initiativen in Wien, die in der Migrationsarbeit tätig sind. Im gemeinsamen Arbeitskreis bei der Abteilung Integration im roten Wiener Rathaus herrscht ebenso viel Ratlosigkeit wie beim Wiener Integrationsfonds, der größten nichtstaatlichen Organisation in diesem Bereich. Dessen Geschäftsführer Hannes Seitner übt scharfe Kritik an den von FPÖ und ÖVP paktierten Positionen zum Thema Zuwanderung und Integration. Der Grundsatz „Integration vor Neuzuzug“ sei zwar Bestandteil des Koalitionsabkommens, die einzelnen Punkte ließen aber klar erkennen, dass Integration nur mehr verbale Makulatur sei. Der Quasi-Einwanderungsstopp, die Verleihung der Staatsbürgerschaft erst nach zehn Jahren und nur dann, wenn entsprechende Tests erfolgreich bestanden wurden, sowie die Forderung nach mehr Abschiebehaftplätzen seien Punkte, die eins zu eins aus dem FPÖ-Programm übernommen worden seien, erklärt Seitner. Und wo EU-weit an einer gemeinsamen Einwanderungspolitik gearbeitet wird, weisen die österreichischen Pläne zum Beispiel in puncto Familienzusammenführung genau in die entgegengesetzte Richtung.

Der vor kurzem von der EU-Kommission vorgelegte Richtlinienentwurf beinhaltet für alle Angehörigen von Drittstaaten, die ein Jahr in einem EU-Land gearbeitet haben, das Recht auf Familienzusammenführung. Für Österreich würde dies bedeuten, dass nachziehende Familienangehörige endlich aus der Einwanderungsquote herausgenommen würden – eine Regelung, die ohnehin einmalig in Europa ist. Die neue Regierungskoalition will dagegen die Familienzusammenführung weiter erschweren. Erschreckend sei aber auch, dass die Hemmschwelle, sich offen ausländerfeindlich zu äußern, schon im Wahlkampf durch die Verhetzungspolitik der FPÖ stark gesunken sei, so Hannes Seitner. In Wien lebten derzeit 283.000 MigrantInnen, die bereits jetzt zutiefst verunsichert und verängstigt seien. Durch die Regierungsbeteiligung einer Partei, die mit menschenverachtenden, rassistischen Slogans agiere, fühle sich dieser Teil der Wiener Bevölkerung nunmehr offen diskriminiert.

Den schwersten Stand werden auch in Zukunft die Flüchtlinge in Österreich haben, obschon sich ihre Lage kaum mehr verschlechtern könne, wie Herbert Langthaler von der Asylkoordination Wien lakonisch feststellt. In den letzten Jahren sei jede Gesetzesverschärfung mit der Begründung durchgegangen: „Wenn wir das nicht machen, kommt der Haider.“ Pech gehabt, jetzt ist er trotzdem da. Die niedrige Anerkennungsrate, die desolaten Lebensbedingungen der Asylbewerber, die die Asylkoordination schon seit Jahren anprangert, das De-facto-Arbeitsverbot, das durch die „Bundeshöchstzahlenüberziehungsverordnung“ in Form einer Quote geschaffen wurde, würden nun eben noch gekrönt von öffentlich legitimiertem Rassismus und Sozialhäme. Die ausländischen KollegInnen in der Asylkoordination lebten inzwischen in Angst, erklärt Langthaler. Wie die anderen Vereine auch bangt die Koordination mehr denn je um ihre Weiterfinanzierung. Diese hängt vom Bund ab, die allgemeine Budgetsituation ist ohnehin schwierig, und die Ermessensausgaben, unter die ihre Tätigkeiten fallen, sind schon jetzt um zwanzig Prozent gekürzt worden.

Massiver Protest auf den Straßen Wiens

So beängstigend und lähmend die Lage derzeit ist, gibt es doch eines, was sie alle aufrecht hält und ermutigt: der massive Protest auf den Straßen. Viele, die sich noch während der Wahlkampfphase passiv und abwartend verhalten haben, sind schlagartig wach geworden. In jedem Bezirk von Wien gibt es Aktionen und Demonstrationen, und all dies weitgehend ohne zentrale Koordinierung. Die Organisation SOS Mitmensch kommt kaum damit nach, ihre Website mit den Terminen für die zahlreichen, von den unterschiedlichsten Gruppen initiierten Demos und Kundgebungen zu aktualisieren. Auch Professor Dietmar Larcher vom Boltzmann-Institut für interkulturelle Bildung an der Universität Klagenfurt ist in den vergangenen Tagen eigens nach Wien gereist, um an Protestaktionen teilzunehmen. Haiders Gesinnung sei ja zur Genüge bekannt gewesen, aber dass der Schüssel sich verführen ließ, sich mit so einem „ins Bett zu legen“, das habe er nicht für möglich gehalten.

Larcher, der seit Jahren nicht nur im Elfenbeinturm seiner Kärntner Hochschule lehrt, sondern sich auch immer wieder aktiv für Minderheiten in Österreich eingesetzt hat, ist froh über jede Gegenmaßnahme der EU und den Protest aus dem Ausland, denn der interne Widerstand in Österreich reiche, so massiv er inzwischen sei, nicht aus. Er hofft, dass die Medien endlich damit aufhören, Haider in Talkshows und Diskussionsrunden Öffentlichkeit zu verschaffen. „Der lügt die TV-Moderatoren dermaßen an, dass sie in die Knie gehen.“ Die Stimmung unter seinen AkademikerkollegInnen sei miserabel, noch dazu müssten sie mit ansehen, wie Haiders Ehefrau ausgerechnet an der Klagenfurter Uni in den Seminaren sitze und Psychologie studiere.

Professor Larcher hat viele interkulturelle Projekte initiiert und durchgeführt, eines davon in Sarajevo. „Dort kann ich mich als Österreicher nicht mehr blicken lassen. Ganz zu schweigen von meiner Gastprofessur in Italien – da mache ich mich ja lächerlich!“ Die Kundgebungen in Wien erlebt Larcher als Erleichterung. Ganz normale Bürger seien auf einmal auf die Straße gegangen, von den Fenstern werde heruntergewinkt, den türkischen oder kroatischen Restaurantbesitzern an der Ecke werde Solidarität zuteil.

Das Erwachen aus dem Dornröschenschlaf war dringend nötig. Denn aus kaum einem anderen europäischen Land wird so viel Alltagsrassismus und Ausgrenzung vermeldet wie aus Österreich. Die Mitarbeiterinnen von Fibel werden in ihren Beratungsgesprächen, Selbsthilfegruppen und Veranstaltungen ständig mit Diskriminierungserfahrungen und Berichten über rassistische Übergriffe im Alltag konfrontiert. Vor allem AfrikanerInnen und ihre Angehörigen klagen über permanente Feindseligkeiten, die sie und ihre Kinder erleben. So werden die Fibel-Seminare zum Thema „Wie schütze ich mich vor Rassismus?“ in Zukunft wohl immer mehr Zulauf haben. Die Beratungsstelle brauchte eher fünf als die bislang zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen. Doch im Moment scheint gar nichts mehr sicher zu sein, nicht einmal, ob der Verein überhaupt weitermachen kann. Es schwingt Zweideutigkeit mit, wenn Petruska Krcmar resigniert sagt: „Heuer überleben wir noch, aber was ist nächstes Jahr?“ Solidarität ist angesagt. SOS Mitmensch und die Demokratische Offensive haben zur Großdemonstration am 19. Februar in Wien aufgerufen.

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