: Wahr di Garr, de Bur kumt!
Heute vor 500 Jahren besiegten die Dithmarscher Bauern die dänische „Große Garde“ – dank Ortskenntnis und Schmuddelwetter ■ Von Ulrich Krökel
Dithmarschen? Aus der Ferne betrachtet: Watt und Wiesen. Kohlköpfe. Beugelbuddelbier. Fragt man dagegen die Menschen zwischen Elbe und Eider, Küste und Kanal nach dem Besonderen dieses Landstriches, so raunen viele heimatstolz: Freiheit. Und – im selben Atemzug: Hemmingstedt. Heute vor 500 Jahren, am 17. Februar 1500, besiegten die Dithmarscher Bauern bei dem kleinen Ort zwischen Meldorf und Heide ein zahlenmäßig weit überlegenes Söldnerheer des dänischen Königs Johann.
Dieser herrschte damals über ein riesiges Nordisches Reich, das neben Dänemark auch Schweden, Norwegen und ganz Schleswig-Holstein umfasste. Nördlich der Elbe widersetzte sich allein die „Dithmarscher Bauernrepublik“ Johanns Expansionsgelüsten. Im Februar 1500 wollte der Dänenkönig das widerspenstige Küstenvolk endgültig unterwerfen – und scheiterte kläglich. Der sensationelle Triumph bei Hemmingstedt sicherte die Unabhängigkeit der Bauernrepublik für Jahrzehnte und hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Dithmarscher eingegraben.
Heldengeschichten und Legenden ranken sich um die Abwehrschlacht, die in Wahrheit ein fürchterliches Gemetzel war. Im mythenschwangeren 19. Jahrhundert warfen deutschnationale Historienmaler blutrünstige Szenen der Hemmigstedter Schlacht auf riesige Leinwände. Eine in alten Chroniken genannte Frau wurde zur Jeanne d'Arc der Deichbauern stilisiert: Die Banner schwingende Jungfrau Telse Kampen habe die Dithmarscher mit dem Schlachtruf angefeuert: „Wahr di Garr, de Bur de kumt – Hüte dich, Garde, hier kommt der Bauer!“ In Wahrheit – verrät der genaue Blick in die Chroniken – flehten die keineswegs siegesgewissen Dithmarscher die Gottesmutter an: „Help Maria milde!“
Deutschnationale Dichter stimmten Heroenlieder auf den Schlachtenführer Wulf Isebrand an. Dabei vergaßen sie freilich zu erwähnen, dass ihr Held ein Holländer war, der lediglich eine Dithmarscherin geheiratet hatte. Selbst Theodor Fontane besang in seiner Ballade über den „Tag von Hem-mingstedt“ den „Bauern Wolf“, der „in schwarzer Nacht ein christlich Bollwerk zusammenzimmerte.“ Einen Höhepunkt erreichten Heimatstolz und Kriegsverherrlichung im Jahre 1900 mit dem Bau des martialischen Schlachtendenkmals auf der Dusenddüwelswarf anlässlich der pompös begangenen 400-Jahr-Feier.
Diese Saat ging im Nationalsozialismus auf. Die Dithmarscher gehörten zu den frühesten und eifrigs-ten Anhängern Adolf Hitlers und seiner Blut-und-Boden-Ideologie. Schon 1928 entwarf der Heider Künstler Hans Gross eine riesige, noch existierende Ziegelplastik für die Grundschule in Albersdorf. Sie zeigt Wulf Isebrand, bewehrt mit einem Hakenkreuzschild, vor dem Strahlenkranz einer aufgehenden Sonne. Nach 1933 diente die Figur als Motiv für das Titelblatt der Zeitschrift „Dithmarschen“.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine jüngere Historikergeneration die Geschichte der Schlacht bei Hemmingstedt neu bewertet. Insbesondere der regionale Historiker Walther Lammers hat mit mancher Legende aufgeräumt. Ihren Sieg verdankten die Dithmarscher demnach weniger ihrem Heldenmut, als vielmehr dem Wetter und ihrer Ortskenntnis.
Bei Sturm, Hagel und Kälte führte König Johann seine 11.000 Mann starke Große Garde von Meldorf Richtung Hemmingstedt. Dort blockierten die Dithmarscher den Landweg mit einer Erdverschanzung, und als die Flut kam, öffneten sie die Deiche. Auf dem schmalen, aufgeweichten Geestrücken konnte das Heer der Angreifer keine reguläre Schlachtordnung einnehmen. In dieser Lage wagten die – entgegen der Legende gut bewaffneten – 3000 Dithmarscher mehrere Ausfälle und schlugen die Söldnertruppe des Dänenkönigs in die Flucht. Mehrere tausend Soldaten ertranken im eiskalten Wasser, oder sie versanken mit ihren schweren Rüs-tungen im Morast und wurden von den Dithmarschern, die sich der Chronik zufolge kurzerhand ihrer Kleider entledigten, erschlagen.
Und wie feiern die Dithmarscher heute den 500. Jahrestag des Sieges bei Hemmingstedt? Ein Boßelwettkampf und ein historisches Schlachtessen sind geplant. Beim Denkmal auf der Dusenddüwelswarf wird Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) einen Pavillon eröffnen, in dem ein 16 Quadratmeter großes Modell der Schlacht gezeigt wird. Und eine Ausstellung in Heide präsentiert Knochenreste der „Toten vom Landweg“.
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