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Die attraktiven Alten

Altbauten sind begehrt, weil sie eine Patina haben und in Straßen liegen, in denen sich Spaziergänger nicht langweilen  ■ Von Gernot Knödler

Wohnen im Altbau? Da ist Sigrid Koch in Nullkommanix von Null auf Hundert: Mäuse, Nachbarkeitsstreitigkeiten, hellhörige Decken, „Sie heizen sich dumm und dämlich bei einer Deckenhöhe von 3,50 Metern“, platzt es aus ihr heraus. „Wenn ich jemandem sage, ich habe 93 Quadratmeter, dann sagt der: ,toll'. Aber dass ich einen 16 Meter langen Flur habe, das übersehen die Leute“, schimpft die Mitarbeiterin einer Versicherungsvermittlung.

Trotzdem würde Koch ihren Altbau auf dem Kiez nicht für einen Neubau in Klein Flottbek eintauschen wollen. „Da ist ja weit und breit nix“, kritisiert sie. Kein Dönerladen um die Ecke, und fürchten müsse man sich auch, weil nachts keine Menschenseele auf der Straße sei.

Am Altbau, „da scheiden sich die Geister“, sagt der Makler Wolfgang Philipp. Denn trotz des Altbaufrusts von Sigrid Koch stellt er eine große Nachfrage nach schön renovierten Altbauten fest, vor allem wenn sie großzügig geschnitten sind. Nach dem neuen Mietenspiegel haben die Mieten für Altbauten angezogen, während sie bei der Mehrheit der nach 1948 gebauten Wohnungen nachgaben. „Im Grundsatz hat keiner was dagegen, in einer 100-Quadratmeter-Altbau-Wohnung im sanierten Jugendstil zu leben“, bringt es der Makler Michael Henko auf den Punkt.

Was die Altbauwohnungen für viele so attraktiv macht, ist ihre Flexibilität und ihre Atmosphäre: Gleichmäßig große Räume legen die MieterInnen nicht auf das Kleinfamilien-Schema fest. Ein ungewöhnlicher Schnitt, hohe Decken, große Fenster, Dielen und Stuck erfreuen das Herz. „Das sind alles Ambiente-Dinge, die man absolut haben will“, sagt der Makler, der Altbauten für „ökonomisch ambivalent“ hält: Die Häuser seien hellhörig und mit einem Alter von 100 Jahren normalerweise fertig. Trotzdem seien KäuferInnen bereit, für eine Wohnung mit einem Substanzwert von 3- bis 400 Mark pro Quadratmeter 6000 Mark auf den Tisch zu legen.

Das Alter der Häuser schlägt für viele durchaus positiv zu Buche: „Altbau steht für Erinnerung“, sagt der Architekt Joachim Reinig. Wer dort wohnt, kann sich historisch verorten; der Platz in der langen Ahnenreihe der BewohnerInnen schafft eine Heimat und er beweist in den Augen Reinigs, dass sich in solchen Häusern leben lässt. „Die heutigen Neubauten sind in 50 Jahren sicher auch beliebt“, prognostiziert der Architekt.

Doch nicht nur auf die Patina kommt es an, sondern auch auf die städtebauliche Struktur, in die sich ein Haus einordnet – ein Kriterium, bei dem Altbauten ebenfalls oft die Nase vorn haben. Viele BewohnerInnen von Altbauten wollten „abends um die Ecke noch mal ein Bier trinken“ gehen können, sagt Makler Henko.

In vielen Altbauquartieren wechseln sich verschiedenartige Gebäude und Nutzungen auf kurzen Strecken ab. Wer 100 Meter zu Fuß geht, kommt an einer Kneipe, einem Büdchen, einem Schlüsseldienst, zwei Gründerzeit-Häusern und einem Nachkriegs-Lückenfüller vorbei. Solche Viertel sind lebendig, findet Joachim Reinig – im Gegensatz zu den monofunktionalen Quartieren, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden. Und wenn sich Neubauten darin einfügen, oder, wie etwa auf der Zeise-Wiese in Ottensen, daran anschließen lassen, dann sind sie ideal für Leute wie Sigrid Koch.

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