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Richter halten an ihrer Linie fest

■ Beim Demonstrationsrecht lassen sich die Verwaltungsrichter nicht vom Innensenator unter Druck setzen. Entscheidung über Neonazi-Aufmarsch wird bald erwartet

Das letzte Wort haben wieder einmal die Richter. Das Berliner Verwaltungsgericht wird heute oder morgen darüber befinden, ob Neonazis anlässlich des „70. Todestages von Horst Wessel“ demonstrieren dürfen oder nicht.

Wie berichtet hat die Polizei den für kommenden Samstag von dem Rechtsextremen Oliver Schweigert angemeldeten Aufzug mit der Begründung „Gefährdung der Sicherheit und Ordnung“ untersagt. Nachdem Schweigert Widerspruch gegen das Verbot eingelegt hat, liegt der Fall nun bei der für das Versammlungsrecht in Berlin zuständigen 1. Kammer des Verwaltungsgerichts. Es ist dieselbe Kammer, die heftig dafür gescholten worden war, dass sie den Aufmarsch der Neonazis am 29. Januar durch das Brandenburger Tor unter Auflagen genehmigt hatte. Auch diese Demonstration war von der Polizei zuvor verboten worden.

Im Unterschied zu damals scheint sich die Polizei diesmal bei der Ausfertigung der Verbotsverfügung große Mühe gegeben zu haben. „Ich kann mich nicht an eine ähnlich ausführliche Begründung der Polizei bezüglich eines Versammlungsverbotes erinnern“, sagte der Verwaltungsrichter Volker Markworth gestern, der seit 1978 Vorsitzender der 1. Kammer ist. Das Verbot des Neonazi-Aufmarsches am 29. Januar hatte die Polizei mit nur wenigen Sätzen begründet. Diese Begründung hatte die Richter nicht überzeugt. Bei einer Anhörung im Innenausschuss am vergangenen Montag hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz festgestellt, dass die Verbotsverfügung der Polizei „handwerklich sehr dürftig fabriziert“ gewesen sei.

Bei der Anhörung hatten sichWiefelspütz und andere Rechtsexperten gegen das Vorhaben von Innensenator Eckart Werthebach (CDU) ausgesprochen, das Versammlungsrecht zu verschärfen. Wie berichtet ist es Werthebachs erklärtes Ziel, die Demonstrationen aus der Innenstadt zu verbannen. Durch die andauernde öffentliche Diskussion über das Versammlungsrecht hofft er, die Verwaltungsrichter zu einer anderen Rechtssprechung zu bringen.

Das weist Verwaltungsrichter Markworth zurück. „Wir nehmen die Diskussionen wahr, aber das kann nicht dazu führen, dass wir von einer als richtig erkannten Linie abweichen“, so der Richter. Unter richtiger Linie versteht er die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit, dass so genannte Brokdorf-Urteil von 1985. „Auf dieser Basis wird jeder Fall einzeln entschieden.“ Dass die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte kritisiert und missinterpretiert werden, ist Markworth gewohnt. „Damit muss man als Richter leben. Aber man darf sich dadurch nicht beeinflussen lassen“.

Zu den obersten Kritikern des Verwaltungsgerichts gehört Innenstaatssekretär Rüdiger Jakesch (CDU). „Von einer solchen richterlichen Entscheidung geht ein falsches Signal aus“, schimpfte Jakesch, als die Richter die Neonazis am 29. Januar durch das Brandenburger Tor maschieren ließen. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, schätzt die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts dagegen dafür, „dass diese streng am Demonstrationsrecht orientiert ist und sich nicht politisch beeinflussen lässt“.

Plutonia Plarre

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