Teuflischer Glücksrausch im Weltbauch

Wahre Lokale (8): Das unvergessliche „Falstaff“ in Brüssel

Da saß er. Da hockte er. Phlegmatisch. Da quoll er und quallte. Der Zwergenbuddha. Der Gigantogartenwicht des deutschen Showbiz. Der Regentonnenbold, der fette Spesenritter, der von Hella und Sinnen befindliche Tackenprallkulturbeutel – in strahlendem, begnadetem Vergnügen, seinesgleichen ihn umgarnend, becircend, eine Runde füllend und vervollkommnend, die unter die Gürtellinie gackerte und am Zentralstimmtisch des Weiberwindsorlokals „Zum Hosenbande“ recht Heimstatt gefunden hätte.

Trinker, Teedamen und Aufspieler nahmen hier Platz

Der Lügen- und Trunkensack. In Brüssel. Im „Falstaff“. Hermes Phettberg? Nein, Dirk Bach war da, vis-à-vis, die Quelle der Qual. Ohne Grund, kein lauschig leiser, sprudelnd sprotzelnder Wiesengrund, ein Stück Fleisch, Sehnen, Speck, „Öl“ (Verdi, „Falstaff“), das plapperte. Da wanzte und quanzte er. Quakte und brabarte, „der Weinschlauch, die Tonne, der König der Bäuche! / Wie strotzen die Waden des lieblichen Gecken! / Das Öl läuft herab an ihm von tranigem Fette, / und er spielt trotz alledem mit Worten und Reimen!“.

Gestrandet, wie so oft. „Welcher Sturmwind musste uns diesen Walfisch mit so vielen Tonnen Öl im Bauch an die Küste von Windsor werfen?“ (Shakespeare, „Die lustigen Weiber von Windsor“), dachte ich und fragte mich schon, was die Zeit zu bewerkstelligen sich anschickt: weshalb mir, dem eingebildeten „versoffenen Schelmen“ (ebd.), dieser hereingeschmeckte „flämische Trunkenbold“ (ebd.) präsentiert werden musste, in den vom deutschen Wahn nahezu unberührten Achtzigern: hier, gegenüber der Brüsseler Börse, am polierten Tisch der Centerlokalität „Falstaff“?

Ich hätte ihn hinauswerfen können, jenen Elenden, der, Bach, sich schwach auf Falstaff reimt. Aus meiner außen herum ganzjährig heizstrahlerbewaffneten, nonstop geöffneten (und mittlerweile verrammelten) Stammkneipe. Aus einer durch beflissene, Computerregistrierkassen an der Leibschürze angegürtet habende, schwer schwirrend schwadronierende Servicekräfte belebten Restauration. Dem einerseits touristenneppischen Renommierverschlag, dem andererseits gemütlichen Schluck- und Sumpfladen, wie es ihn nur zu Belgien gibt. Da wo Trinker, Teedamen, Gelegenheitsgäste und Aufspieler problemlos Platz beanspruchen können, dem Abusus Genüge zu leisten und den Weltkreis in den Wanst zu stiefeln. Dicke Menschen machen keine Revolution, erkannte Caesar. Bach, Dirk, sabbelte seine „Bierhausphrasen“ („Falstaff“). Und wir süffelten das göttergleiche Duvel, ein Starkbier, das uns beseelte. Später schafften wir die Heimfahrt „Direction/Richting Alma“ (Lautsprecher) mit der Untergrundbahn gen Endstation Ostvororte Bruxelles, genannt „Van de Velde“.

Das göttergleiche Duvel, ein Starkbier, beseelte uns

„Schmahl-Bier“ verlangt Shakespeares Falstaff in „Heinrich IV.“, das Gegenteil des Meistertranks Duvel, einer Kanone, die mir durch den Schädel schoss unter Markisen und Kronleuchtern, deren Wucht ich nimmer zu vergessen gelobe. Dennoch nagt ein Widerspruch. Weshalb hörte das „Falstaff“, der bukolisch-bacchantische First place in our town, auf einen Namen – Falstaff, Fall?! Tough!! –, der dem kunstambauarchitektonischen Ensemble des Jugendstils, der pflanzenrankenden Schwungornamentierung und Bevorzugung präraffaelitischen Schnickschmuckschnacks, zuwiderläuft wie Dirk Bach, der Comedykrakeeler, dem genialen Wortakrobaten und Schwindler?

Bei mir und bei den andern sein: Die Verheißung gelungener Geselligkeit und generösen Trunks versprach das Brüsseler „Falstaff“, dessen feisten Namenspatron ich preisen will; den Gaukler, Lumpen, Gwurler; den zagenden Kraftler; der keines Kontaktsprays bedarf; der die wahnsinnige Welt gütig verschlingt; der ruft: „mein Reich hier, mein mächt’ges Reich!“; „in dessen Bauch“, nicht im Bachschen Nitratschaumschädel, „reden tausend Zungen“; der wahrhaftig weiß: „Nicht Hexerei, o nein, / der Zauber der Persönlichkeit, weiter nichts!“

Einen meiner schönsten, weichsten, rundumfänglichsten und ersten Räusche gönnte und gewährte mir und den genossenschaftlichen Zechern das „Falstaff“, das und darob ich’s stetig bewahren möge im Herzen.

„Rauchen, rauchen ist gut, aber trinken, in die Gosse führt das, in die Gosse!“, mahnte Dr. Kraft auf dem U-Bahnrückweg, hängend und hangelnd zwischen Stangen und Kunstledersitzen. Gebt „guten Tropfen“, fordert der – zuletzt auch – Melancholiker Falstaff, der dem Leben und Leiden Empfängliche, der „lichtet die grauen Sorgen / grämlicher Stunden, / entzündet Auge und Geist, / vom Mund springt er ins Hirn, / dort fährt er herum und weckt den Kobold den Triller; / ein schwarzer Käfer rumort in uns im Rausche.“

Und im Bauche plätschert kein Bach. Sondern die Welt. Oder wenigstens ein Strom, ein Nil teuflisch guten Duvels. Jürgen Roth