: „Rock ’n’ Roll ist ein Klischee“
■ Neueste Folge einer proletarischen Seifenoper: Oasis, die letzten Großmäuler, Drogenfresser und Hotelzimmerverwüster des Rock, sind plötzlich reif geworden. Sagen die Hauptdarsteller selbst, die notorischen Gallaghers. Aber hört nicht auf sie – sie sind schließlich Brüder!
taz: Über euren exzessiven Rock ’n’ Roll-Lifestyle ist viel geschrieben worden. Alles bloß Image?
Noel: Nein, das war wirklich so. Wir sind wirklich auf jede Party gegangen, die sich uns in den Weg stellte – und das an jedem Tag der Woche, ohne Pause. Und wenn die mal irgendwann vorbei waren, dann wurde bei mir weiter gefeiert – oft bis zum nächsten Mittag. Mein Haus wurde zum bekanntesten Nachtclub von ganz London. Und das war eine Zeit lang wirklich sehr nett. Ich habe ein paar tolle Leute getroffen.
Jetzt ist es nicht mehr so nett?
Noel: Das Problem ist, dass dein Körper auf Dauer nicht mitspielt. Du kannst nicht jeden Tag um drei Uhr nachmittags aufstehen, mit einem fürchterlichen Kater in die Küche stolpern und dann erst einmal irgendwelche Typen vom Vorabend rausschmeißen, von denen du gar nicht mehr weißt, wer sie eigentlich sind. Mit einem Kind ist das sowieso nicht möglich. Ich will nicht, dass es morgens aufwacht und seine Eltern besoffen auf der Couch vorfindet.
Liam: Wir mussten mit ansehen, wie viele unserer Freunde ganz übel abgestürzt sind. Doch wir haben gerade noch so die Kurve gekriegt, und das macht mich unglaublich stolz.
Das heißt, keine Drogen mehr?
Noel: Ich musste einfach aufhören. Es kam schon so weit, dass ich nachts mit regelrechten Panikattacken aufwachte oder aber tierisch Bauchschmerzen hatte. Eines Abends musste ich sogar einen Arzt rufen. Der war ziemlich jung und meinte sofort: Ich frage Sie besser gar nicht erst, ob Sie Drogen nehmen. Das andere Problem war, dass ich mit niemandem darüber reden konnte – weder mit meinen Freunden noch mit der Band. Bei Liam habe ich es mal kurz versucht, aber der meinte nur: Panikattacken? Was soll der Scheiß – bist du ein Mann oder ein Weichei?
Wie hast du’s trotzdem gepackt?
Ich habe schließlich ein paar Sachen zusammengepackt, mir meine Gitarre und Frau geschnappt, bin in ein Taxi gesprungen und nach Thailand geflogen – einfach so, für einen Monat. Stell dir vor: Da hängen all diese Mönche rum – aber so richtige. Nicht diese gemütlichen Fettsäcke wie bei Robin Hood, sondern diese Hardcore-Typen mit kahlem Schädel. Wir sind dann durch all diese Dörfer gefahren und haben dort ein paar sehr spirituelle Leute getroffen. Nicht dass mich das jetzt sonderlich berührt oder gar beeinflusst hätte, aber ich habe mich doch ziemlich wohl gefühlt. Allein schon wegen der Sonne und diesen Tieren, die überall frei rumliefen.
Ihr wirkt auch nicht mehr so zerstritten wie früher.
Noel: Liam wird eben langsam erwachsen ... Du darfst nicht vergessen, dass er erst 27 ist. Ich weiß noch genau, wie ich damals war – nicht viel anders als er heute.
Liam: Hör nicht auf ihn – wir sind Brüder, und wir sind uns verdammt nahe. Vom musikalischen her sogar mehr als je zuvor. Dieser ganze Mist, der ständig über uns verzapft wird, ist einfach völlig übertrieben. Seit Bonehead und Guigsy ausgestiegen sind, verstehen wir uns besser als je zuvor – ehrlich.
Ihr wollt doch nicht sagen, dass diese Nummer mit dem sich fetzenden Brüderpaar gar nicht stimmt?
Noel: Ach, das war doch alles nur Show – eben genau das, was die Presse von uns hören wollte. Und das haben wir ihnen gegeben. Eigentlich ist Liam nämlich ganz okay. Er ist nicht hinterhältig, sondern sagt, was er denkt. Und das ist wichtig.
Liam: Ja, meine Worte sind meine Gedanken. Sie sind identisch.
Noel: Manchmal denke ich mir, wie toll es doch wäre, wenn er mal die Chance hätte, mit jemandem wie John Lennon zu sprechen. Der würde ihm als erstes sagen: Setz dich hin, halt die Klappe und hör dir an, was ich zu sagen habe, statt immer nur draufloszureden.
Liam: Ach komm, das sagst du doch nur, weil du dich inzwischen selbst für Lennon hältst.
Noel: Sag mal, hältst du mich für bescheuert? Ich bin doch kein Wichser und gebe mich zu Beginn des neuen Jahrtausends als Songwriter der 90er aus! Dann wäre ich ja ganz schnell Schnee von gestern. Ich will der Songwriter der Gegenwart und Zukunft sein, aber kein Relikt. Und ich will nach vorne blicken, aber nicht nach hinten.
Sind eure früheren Platten denn überhaupt noch zu übertreffen?
Noel: Gute Frage – ich wüsste nicht wie. Wenn du das größte Rock ’n’ Roll-Album der 90er geschrieben hast, was machst du dann? Nach „Be Here Now“ habe ich fest damit gerechnet, dass sich die Band auflöst und ich niemals wieder eine neue Platte veröffentlichen würde – ganz einfach, weil ich gar keine neuen Songs mehr auf Lager hatte.
Liam: Das Problem war dieser ganze Rummel, der ständig um uns gemacht wurde. Manchmal hast du wirklich vergessen, dass wir in erster Linie Musiker sind und in einer Band spielen. Scheiße Mann, wir waren öfter in den Schlagzeilen als irgendein verdammter Schauspieler oder Politiker. Das kann nicht gesund sein – uns hat es in das reinste Chaos gestürzt. Und das konntest du auch unserer Musik anhören.
Noel: Nicht dass die Songs der letzten Platte schlecht gewesen wären – das würde ich niemals behaupten –, aber wir haben einfach zu viel getrunken und außerdem noch so viel Kokain geschnupft. Das war völlig dumm.
Liam: Wir haben uns erst vor ein paar Tagen noch einmal „Stand By Me“ angehört – und das findet einfach kein Ende. Wir sind kurz rausgegangen, haben eine Tasse Tee getrunken, sind wiedergekommen, und es lief immer noch ...
Noel: Es hat gut gerockt, aber auch nicht mehr. Diesmal wusste ich genau, was ich wollte: zunächst einmal ein Jahr Pause. Ich wollte abschalten, endlich wieder Zeit für mich selbst haben, in Ruhe neue Songs schreiben und dann Schritt für Schritt aufnehmen – alles ganz relaxed und smooth.
Liam: Das hätten wir schon viel früher tun sollen, aber du weißt ja, wie das ist. Jetzt sind wir wieder eine Band und keine verdammten Rock-Zombies mehr.
Noel: Davon gibt es doch eh viel zu viele. Und ich glaube nicht, dass die Leute noch allzu scharf darauf sind. Immer dieselben Geschichten – was soll denn daran noch interessant oder skandalös sein? Rock ’n’ Roll ist ein verdammtes Klischee. Die ersten drei Alben haben gezeigt, wer wir sind und was wir können. Ich bin keine gottverdammte Juke-Box, die immer denselben Scheiß runterdudelt.
Was ist neu an der neuen Oasis?
Liam: Hast du schon mal ein Drumloop auf einem Oasis-Album gehört? Das wäre früher schlichtweg unmöglich gewesen – ein absolutes Tabu. Doch diesmal haben wir es einfach probiert. Eben mit weniger Gitarren und viel mehr Bass – den hast du früher auch nie gehört. Das Ganze ist viel lockerer und natürlicher.
Aber auf Electronica und Dance steht ihr doch schon seit Jahren, wovon auch diverse Nebenprojekte zeugen ...
Noel: Ja, und von den Sachen, die ich mit den Chemical Brothers und Goldie gemacht habe, konnte ich sehr viel lernen. Aber es dauert eben seine Zeit, bis du solche Eindrücke und Erfahrungen auch in deiner eigenen Musik verarbeitest – bis du selbstbewusst genug bist, um dich daran zu versuchen und ein paar Beats einzubauen. Aber das Album ist allein deshalb viel tanzbarer, weil es ein sehr funkiges Feeling hat – und das ist in erster Linie ein Verdienst von Alan (White), der überhaupt nicht weiß, was für ein großartiger Drummer er eigentlich ist. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass er der talentierteste Musiker in dieser Band ist. Weißt du, er hat einen unglaublichen Groove, und wir unterlegen das Ganze dann noch mit unterschiedlichen Synthies und Keyboards, wie wir sie nie zuvor benutzt haben. Eben ein ganz anderer Ansatz und Anspruch an die einzelnen Tracks. Überhaupt stand diesmal nicht der Song an erster Stelle, sondern die Struktur. Und das Tolle ist eben, dass es so problemlos funktioniert hat. Es klingt immer noch nach einer Oasis-Platte, aber eben nach einer etwas anderen.
Die Beatles sind also nicht länger die einzige Band im Gallagherschen Universum?
Noel: Richtig, obwohl ich sie natürlich immer noch sehr gerne und oft höre – aber das gilt inzwischen auch für die Beta Band und ihre Art des Songwritings. Natürlich haben wir uns jetzt nicht ihre Technik abgeguckt und angefangen, mit einer Plastiktüte oder einer Packung Chips einen Drumsound zu improvisieren. Aber was ich definitiv von ihnen gelernt habe, ist, dass alles möglich ist.
Was hat das alles mit dem Albumtitel zu tun, „Standing On The Shoulder of Giants“, der ja vom Prägerand einer 2-Pfund-Münze stammt?
Noel: Gar nichts, aber darauf kommt es ja nicht an. Ich war einfach nur eines Abends im Pub und hatte dieses Geldstück in der Hand, wo dieser denkwürdige Satz eingraviert war. Den habe ich mir dann auf die Rückseite einer Zigarettenpackung notiert, um ihn ja nicht zu vergessen. Ich war schon ziemlich angetrunken und habe mich auch prompt verschrieben, denn was ich eigentlich schreiben wollte, war: „standing on the shoulders of giants (album title)“, aber daraus ist dann „standing on the shoulder of giants (album title)“ geworden – eine großartige Ironie: Der perfekte Titel für einen Haufen Penner wie uns.
Liam: Ja, genau! Wir sind John Lennon und John Lydon in einem.
Noel: Ich meine, das ist es doch, was die Leute unter Giganten verstehen – die Beatles, die Stones, The Who und die Sex Pistols. Aber nur natürlich ist das keine bewusste Hommage oder so was – es klingt einfach nur gut. Und auf dem Frontcover eines Albums macht es sich natürlich auch ganz gut – es wirkt irgendwie mächtig.
Liam: Und darum geht es doch – um Gefühle. Letztlich ist das ganze Leben ein ständiges emotionales Wechselbad. Ich meine, wir hätten nie gedacht, dass wir je so eine Karriere hinlegen würde. Wir hätten auch nie damit gerechnet, dass wir jemals zwei Mitglieder verlieren würden. Wir haben immer gedacht, das wäre unsere gemeinsame Sache und dass es immer so weiter gehen würde.
Noel: Jetzt sind sie weg – und damit hat sich das Thema erledigt. Wir haben den Neuen aber nie gesagt: Hey, spielt gefälligst so wie Bonehead‚ sondern einfach so, wie du es für richtig hältst. Wenn uns das nicht passt oder zu abgedreht ist, dann sagen wir das schon. Ich bin wirklich gespannt, wie das auf der Bühne funktionieren wird. Aber große Sorgen mache ich mir darüber eigentlich nicht. Schließlich sind es hervorragende Musiker. Und sie sind noch frisch und hungrig – keine zynischen alten Säcke.
Liam: Lass uns einfach abwarten und sehen, was die Leute denken. Denen kannst du sowieso nichts erzählen. Entweder sie stehen darauf oder eben nicht.
Interview: Marcel Anders
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