: Ein Hauch von Rosa legt sich über die Seine
Frankreichs ehemaliger linker Kulturminister Jack Lang will mit dem Segen der Parteibasis Pariser Bürgermeister werden und die Hegemonie der Gaullisten beenden. Nicht nur die finden das unerhört ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Das vermutlich schönste Büro Frankreichs liegt in Spuckweite der Seine. Es ist 100 Quadratmeter groß, vergoldet, verstuckt und mit dicken Teppichen ausgelegt. Und es weckt Begehrlichkeiten auf allen Seiten des politischen Spektrums. Denn von hier aus wird Paris regiert.
Seit am Donnerstag der Sozialist Jack Lang offiziell bekannt gab, dass er bei den französischen Kommunalwahlen im März 2001 Bürgermeister von Paris werden möchte, ist der Kampf um das Rathaus eröffnet. Es wird eine Schlacht werden, die nicht nur die großen Parteien Frankreichs miteinander konfrontieren, sondern auch in ihrem Inneren Gräben aufreißen wird.
Bis zu Langs Outing als Kandidat schien Paris eine Pariser Lokalangelegenheit zu bleiben. Der Neogaullist Jean Tiberi, der Jacques Chirac 1995 auf dem Bürgermeistersitz gefolgt war, hatte trotzig erklärt, dass er trotz seiner Misswirtschaften und gegen den Widerstand aus seiner eigenen Partei erneut kandidieren werde, und seine Aufmerksamkeiten für die Hauptstadtbürger vervielfacht. In den vergangenen Monaten gönnte er ihnen unter anderem eine Parkverschönerung sowie eine kostenlose Graffiti-Entfernung an Privathäusern.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hatte Anfang des Jahres der eher unscheinbare Sozialist Bertrand Delanoe, der seit über 20 Jahren Pariser Oppositionspolitik macht und in der Stadt über eine solide Basis verfügt, seine Kandidatur angekündigt. Premierminister Lionel Jospin machte aus seiner Sympathie für den Lokalpolitiker keinen Hehl.
Doch rechts wie links rumorte es im Hintergrund. Der umstrittene Tiberi war bereits vor zwei Jahren beinahe von einem Putsch aus seinen eigenen Reihen weggefegt worden und musste in den vergangenen Wochen von zahlreichen Konservativen hören, dass sie ihrerseits eine Kandidatur für die Komunalwahlen vorbereiten.
Im neogaullistischen Hintergrund hielt sich zusätzlich Philippe Séguin als Retter im Gespräch. Er speckte in den vergangenen Monaten über zwei Dutzend Kilo ab, ließ sich häufig in seinem neuen Umfang fotografieren und erklärte bei jeder Gelegenheit, dass er auf den Ruf der Chefin der RPR, Michèle Alliot-Marie, warte, um zu kandidieren. Die kleinen linken und rechten Parteien haben mit der Kandidatendiskussion erst begonnen.
Mit dem Antritt des 60-jährigen Lang werden die Verhältnisse etwas klarer. Dabei hat auch der einstige Kulturminister von François Mitterrand, der die Pariser Skyline entscheidend mit Prunkbauten à la „Arche de la Défense“ im Westen, Glaspyramide vor dem Louvre im Zentrum und „sehr große Bibliothek“ im Osten prägte, der die inzwischen weltweit kopierte “Fete de la Musique“ mitorganisiert und die Pariser Techno-Paraden initiiert hat, in seinen eigenen Reihen jede Menge Gegner und Skeptiker – vor allem seit 1997, als mit Lionel Jospin eine neue Generation von Sozialisten an die Regierung kam, die sich sorgfältig von der Mitterrandie distanzierte und deren Protagonisten kaltstellte.
Doch Lang, der gegenwärtig nur Bürgermeister einer Provinzstadt (Blois) und Vorsitzender eines parlamentarischen Ausschusses (für Außenpolitik) ist, ließ sich nicht kleinkriegen. Er blieb ein national und international aktiver Politiker, der auf keiner großen Politveranstaltung fehlte und selten eine Woche ohne Medienauftritte vergehen ließ. Nebenbei brachte er sich weiterhin für alle möglichen Posten ins Gespräch - unter anderem als Generalsekretär der Unesco und als UNO-Vertreter im Kosovo. Allein in den letzten Tagen vor seiner Kandidatur war er unter anderem im US-amerikanischen Texas bei einem zum Tode verurteilten Gefangenen zu Besuch und nahm in Paris an der Spitze einer Demonstration gegen die rechtsextreme Regierungsbeteiligung in Österreich teil. Die Entscheidung über die sozialistische Kandidatur ist Sache der Parteibasis. Sie wird am 30. März befinden, ob sie den „Proximitäts-Politiker“ Delanoe oder den nach Paris eingeflogenen Politstar Lang ins Rennen schickt. Sie muss dabei klären, ob Langs internationale Reputation mehr Wahlchancen verspricht als Delanoes Orts- und Personenkenntnis in Paris.
Die Chancen, dass die traditionell konservativ regierte französische Hauptstadt beim nächsten Mal rosa wird, stehen nicht schlecht. Schon bei den letzten Komunalwahlen fielen sechs der zwanzig Pariser Arrondissements in die Hände der Linken. Für Optimismus auf der Linken sorgt auch das Chaos auf der Rechten. „Je mehr Kandidaten die Neogaullisten, Konservativen und Konservativ-Liberalen ins Rennen schicken, desto besser für uns“, freut man sich bei der PS.
Das weiß auch Staatspräsident Jacques Chirac. Wenn das schönste Büro Frankreichs, von dem aus er einst seinen Umzug in den Elysée-Palast vorbereitet hatte, in die Hände der Linken fällt, würde er eine seiner letzten Hochburgen verlieren. Seiner amtsbedingten Reserve zum Trotz hat er deswegen mehrfach versucht, seinen Nachfolger Tiberi von einer erneuten Kandidatur abzuhalten, und hat sogar seine Unterstützung für Philippe Séguin signalisiert, der innerparteilich sein energischster Gegner ist.
Ob Chirac, dessen Autorität in den eigenen Reihen stets weiter sinkt, seine personalpolitischen Vorstellungen für Paris durchsetzen kann, ist aber fraglich. Eine Basisentscheidung wie bei den Sozialisten wollen die Neogaullisten schon gar nicht riskieren. Parteichefin Alliot-Marie will ihren Bürgermeisterkandidaten ganz einfach bestimmen – „zu Ostern“, sagt sie; denn je kürzer der Wahlkampf ist, desto günstiger sei es für den Kandidaten, so lautet die Logik in ihrem Lager.
Von einem politischen Programm für die französische Hauptstadt ist indessen noch nirgends eine Rede. Die Sozialisten wollen ihres „ab September“ vorbereiten. Die Konservativen müssen sich erst einmal zusammenraufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen