: Beweis oder Fälschung: Video zeigt Gräuel in Tschetschenien
■ TV-Sender veröffentlicht Bilder von Massengrab mit angeblich exekutierten Rebellen. Moskau weist Vorwurf zurück. Unabhängige Untersuchung gefordert
Moskau/Berlin (taz) – Die schockierenden Filmaufnahmen aus Tschetschenien von einem Massengrab mit den Leichen zum Teil gefesselter und mutmaßlich gefolteter Rebellen sind gestern in Moskau heruntergespielt oder gar als mögliche Fälschung bezeichnet worden. Der deutsche Sender N 24, von dessen Korrespondenten die Aufnahmen stammen, versicherte die Echtheit der Bilder. Der außenpolitische Koordinator der EU, Javier Solana, und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderten eine unabhängige Untersuchung. Der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Duma, Oleg Mironow, bezeichnete die Bilder als „gestellt“ und als „Provokation“ und hielt auch eine „Bildmontage oder klare Fälschung“ für möglich. Die Aufnahmen wurden gestern auch vom russischen Privatsender NTW und von der BBC gezeigt.
Auch der russische Militärstaatsanwalt äußerte Zweifel an den Bildern, leitete aber laut Interfax eine Untersuchung ein. Oleg Aksyonow, Leiter der Presseabteilung im Innenministerium, war ob der „Verdrehung von Fakten“ gar entrüstet. Der Mitschnitt zeige nur im Kampf gefallene Rebellen. Der Chef der für die Kriegsberichterstattung zuständigen Behörde Rosinformzentr, Sergej Jastrschembski, warnte vor „übereilten rechtlichen Bewertungen“. Er gestand aber, dass eine genaue Überprüfung notwendig sei.
Abgeordnete der Duma wiegelten unabhängig von ihrer politischen Couleur ab. Pawel Kraschennikow von der liberalen Fraktion „Union der Rechtskräfte“ hielt es für „voreilig“, endgültige Schlüsse zu ziehen. Damit drückte er die Position der gemäßigteren Kräfte aus, die den Filmbericht nicht von vornherein „westlichen Kreisen“ in die Schuhe schieben. Die meisten Regierungsvertreter sehen nämlich einen Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung des belastenden Materials und dem Besuch des Menschenrechtsbeauftragten des Europarates, Alvaro Gil-Robles. Der traf gestern in Moskau mit Außenminister Igor Iwanow zusammen. Gil-Robles wurde die Erlaubnis für eine Reise in den Kaukasus „in naher Zukunft“ zugesagt.
Die umstrittenen Bilder zeigen Massengräber im Dorf Gajty südwestlich von Grosny mit Leichen mutmaßlicher Rebellen. In einer Szene wurde eine Leiche von einem Fahrzeug über ein Feld geschleift. Mehrere Leichen waren gefesselt, mindestens eine verstümmelt, andere waren nach Angaben des Korrespondenten in Stacheldraht eingewickelt. N 24 erklärte gestern, die Bilder seien nicht gestellt und im Beisein des Korrespondenten Frank Höfling aufgenommen worden. Er nimmt an, dass die mutmaßlichen Rebellen nach Verhören durch die russische Armee hingerichtet wurden.
Seit Monaten dementiert Moskau Vorwürfe internationaler Organisationen, russische Streitkräfte verstießen in Tschetschenien gegen die Menschenrechte. Die Filmaufnahmen verstärken jetzt den Druck auf Moskau, eine bisher abgelehnte unabhängige Untersuchung zuzulassen. „Die Aufnahmen stimmen mit dem überein, was wir bisher in Gesprächen mit Flüchtlingen an der tschetschenischen Grenze herausgefunden haben“, sagte Minky Worden von Human Rights Watch, die auf wirtschaftliche Sanktionen gegen Moskau drängt.
Bundesaußenminister Joschka Fischer hat eine „sofortige und gründliche Untersuchung“ gefordert. Russland müsse ohne Zögern Aufklärung leisten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und internationale Beobachter wie die UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson zulassen, erklärte Fischer am Freitag in Berlin. Eine sofortige Aufklärung verlangte ebenso EU-Außenpolitikkoordinator Javier Solana .
Klaus-Helge Donath/Sven Hansen
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