piwik no script img

Minister auf der Flucht

Nach dem Rücktritt von fünf Ministern in Schleswig-Holstein spricht Heide Simonis von der „Chance eines Neuanfangs“

Berlin (taz) – Klaus Müller soll es machen. Der 29-jährige Volkswirt aus Kiel, haushaltspolitischer Shootingstar der Grünen und seit eineinhalb Jahren im Bundestag, soll Minister im neuen rot-grünen schleswig-holsteinischen Kabinett werden. Diese Wahrscheinlichkeit sei „sehr, sehr hoch“, sagten führende Kieler Grüne gestern.

Müller, der vor vier Jahren bereits den ersten rot-grünen Kieler Koalitionsvertrag aushandelte und von Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) wegen seiner finanzpolitischen Kompetenz geschätzt wird, solle „frischen Wind bringen“ und möglichst das Umweltressort von Rainder Steenblock übernehmen. Der hatte vorgestern die Konsequenzen aus parteiinterner wie -externer Kritik gezogen und erklärt, er stehe als Minister nicht mehr zur Verfügung. Sollte die SPD den Grünen ein zweites Ministerium zugestehen, gilt die bisherige Fraktionsabgeordnete und Finanzpolitikerin Monika Heinold, 41, als aussichtsreichste Kandidatin.

Um das Tempo, mit dem die Grünen neuerdings Personalfragen klären, dürfte die Ministerpräsidentin ihren Koalitionspartner ausnahmsweise beneiden. Denn Heide Simonis, die das neue Kabinett bereits am 28. März vereidigen lassen will, sind drei von sieben Ministern, die auf dem Ticket der Sozialdemokraten amtierten, weggelaufen. „Herbe“ und „überraschend“ sei „dieser Schlag“ gewesen, hieß es gestern in der Fraktion, zumal die drei Minister Schlüsselressorts innehatten. In Windeseile müssen nun Nachfolger für Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD), Justizminister Gerd Walter (SPD) und Wirtschaftsminister Horst Bülck (parteilos) her. Im Gespräch sind der bisherige Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Rohwer und SPD-Landeschef Franz Thönnes. Landwirtschaftsminister Klaus Buß soll das Innenressort übernehmen.

Ministerpräsidentin Simonis, über die bereits spekuliert wird, sie werde nicht bis zum Ende der Legislaturperiode durchhalten, müht sich derweil um Schadensbegrenzung: Der Wechsel sei eine „große Chance für einen Neuanfang“. Doch selbst Parteifreunde räumten gestern ein, der Rücktritt sei ein Zeichen dafür, dass die Regierung zuletzt „vielleicht ein wenig ausgebrannt“ gewesen sei. Namentlich zitieren lassen mochte sich damit niemand. Fest steht nur: Die Kabinettsumbildung von 1998, bei der Simonis nach internen Zerwürfnissen die Bildungsministerin sowie mehrere Staatssekretäre austauschte und sich einen neuen Wirtschaftsminister suchen musste, hat nicht den erhofften Motivationsschub gebracht.

Mancher Sozi hatte zudem bis zum Auftauchen der schwarzen CDU-Konten fest mit einem Machtwechsel an der Förde gerechnet und Pläne für die Zeit nach der Wahl geschmiedet. Das dürfte vor allem für die Minister Wienholtz und Walter gelten, die bereits unter der Regierung Björn Engholms (1988–1992) tätig waren, und denn auch „persönliche Gründe“ für ihr Ausscheiden anführten. Über den parteilosen Bülck, der einen Job im Vorstand eines Computerunternehmens angenommen hat, hieß es, er habe sich „nicht immer wohl gefühlt“.

Dass im Kieler Kabinett „unvereinbare Ansprüche“ aufeinanderprallten, sei nicht neu, beklagte gestern Ex-Justizminister Klaus Klingner, der 1996 das Handtuch warf. „Das ging nach dem Motto: Reformwirken contra gutes internes Klima“, sagte er. Ein „Zuckerschlecken“ sei das Regieren in Kiel für niemanden.

Andere Ex-Minister führten als Grund Simonis’ „egozentrisches Auftreten“ an. Die Regierungschefin sei nicht „der Typ Teamarbeiterin“, klagte ein ehemaliges Kabinettsmitglied. Sie habe stets versucht, „über die Staatskanzlei in die Ressorts hineinzuregieren“. Das habe „ganze Projekte kaputtgemacht“. Scharf angegriffen wurde wegen seiner „Besserwisserei“ auch Staatssekretär Klaus Gärtner, an dem Simonis jedoch auch künftig festhalten will.

Heike Haarhoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen