: Seepferdchen?Oder Gänsegeier?
Es reicht! Die patriarchal-monogame Ehe hat für genug Qual, Betrug und Beschiss gesorgt. Im 21. Jahrhundert wird alles besser. Zurück zur Natur! Bloß zu welcher? Neun Szenarien, ausgedacht von UTE SCHEUB
Das Gorillaszenario. Aus den USA kommend, greift eine Bewegung harter Machos um sich. Um die „kulturelle Vorherrschaft der Feministinnen zu brechen“, rufen diese Männer zu einem Gorillakrieg gegen die Ehe auf. Sie sei einzig dazu da, den weiblichen „Drohnen“ ein faules und materiell bequemes Leben auf Kosten ihrer Männer zu garantieren. Ziel sei es, diese „widernatürliche“ Institution vollständig abzuschaffen und Harems aufzubauen, wie sie auch die Gorillas im Urwald kennen. „Zurück zur Natur!“, lautet die Parole der Gorilleros.
Tatsächlich bilden sich immer mehr Haremsgemeinschaften, in Berlin richtet sich der betagte Altachtundsechziger Rainer Langhans einen Harem von siebzehn Damen ein. Nach einiger Zeit aber bricht dort erhebliche Unruhe aus. Ursache dafür ist die genetische Studie eines Biologieprofessors, nach der 95 Prozent aller Haremskinder nicht von Langhans abstammen, sondern Produkte von Seitensprüngen sind. Ihn verwundere das nicht, kommentiert der Professor. Auch in allen ihm bekannten Harems der Tierwelt, ob nun bei den Gorillas, den Pavianen oder den Seeelefanten, sei die Kontrolle der Damenwelt niemals vollständig gelungen. Bei der Guppyfischart Limia perugiae betrage die Rate der Ehebrüche sogar hundert Prozent. Weil die dominanten Männchen ständig ihren Rang verteidigen müssten, kämen sie nie zum Sex. Rainer Langhans stimmt das nach eigenen Worten „sehr nachdenklich“.
Das Kampfwachtelszenario. In Reaktion auf die Haremsbewegung der Männer entsteht nach kurzer Zeit eine Haremsbewegung der Frauen. Ihre Anhängerinnen wollen ebenfalls „zurück zur Natur“ und verweisen auf Vorbilder von Vielmännerei im Tierreich.
Einige der Damen haben in ihrem Haremswappen die Kampfwachteln verewigt, eine Vogelfamilie von siebzehn Arten, die ihrem Namen alle Ehre macht. Die Haremschefinnen eifern ihren tierischen Vorbildern emsig nach und werden um die Hälfte dicker als die von ihnen eifersüchtig bewachten Männer. Ihre Männer werden genauso wie die Vögelmännchen strikt im Haus gehalten, wo sie die Kinder aufziehen müssen. Frauensolidarität ist unter den Kampfwachteln völlig unbekannt: Die Haremsvorsitzenden bekämpfen sich gegenseitig erbittert als Konkurrentinnen. Kein Wunder, dass der Kampfwachtelbewegung kein langes Leben beschieden ist.
Das Möwenszenario. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Frauen fühlt sich von beiden Haremsbewegungen angewidert. Ihre – leicht doppeldeutige – Alternativparole: „Zurück zu Natur und Vögeln!“ Sie verweisen auf das Vorbild der südkalifornischen Möwenart Larus occidentalis, die es in Sachen Legalisierung der Lesbenehe sehr viel weiter gebracht hat als die einstige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin.
Viele Weibchen dieser Möwenart ziehen es vor, mit ihresgleichen zu leben. Sie flirten und balzen nur untereinander und bauen zusammen ein Nest. Um des Nachwuchses willen aber vergessen sie auch mal ihre Prinzipien, springen einem Männchen zur Seite und lassen sich befruchten. Die Eier werden selbstverständlich gemeinsam ausgebrütet, die Küken gemeinsam aufgezogen.
Die Möwinnenbewegung hat ihr Nachwuchsproblem gelöst. Sie kann sich lange halten.
Das Gänsegeierszenario. „Was die Frauen können, das können wir schon lange!“, rumort es nunmehr in der Schwulenszene. „Auf, zurück zur Natur, zu unseren schwulen Freunden unter den Würmern und Wanzen, Graugantern und Flamingos, Gänsegeiern, Emus und Meerschweinchen, Bonobos, Languren und Bärenmakaken!“
Zu ihrem ganz besonderen Vorbild erwächst der Homoschar das Gänsegeierpaar Jehuda und Doschik im „Bibelzoo“ von Jerusalem. Das Männerpaar war unzertrennlich, es baute ein Nest, bebrütete ein von Zoologen untergeschobenes Testei und adoptierte schließlich mehrere Küken. All seine gemeinsamen Lebensjahre hielt es den wütenden Blicken orthodoxer Rabbiner stand, die Homosexualität als Sünde ansahen und ihren Gemeindemitgliedern den Gang in den Zoo kategorisch verbieten wollten.
Das Schwarze-Witwen-Szenario. Aus den versprengten Resten der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts bildet sich eine besonders militante Gruppe heraus: die Schwarzen Witwen. Ihre Mitglieder werden von einem heftigen Rachebedürfnis beseelt. Sie sprechen allein stehende Männer an, verbringen mit ihnen eine Liebesnacht, zücken anschließend einen Dolch und verspeisen die potenziellen Väter ihrer Kinder zum Frühstück. Gebratene Ohrläppchen mit Petersilie gelten als besondere Delikatesse. Was nicht sogleich verzehrt wird, wandert in die Tiefkühltruhe.
Die einzigen Spuren, die die Schwarzen Witwen in der Öffentlichkeit hinterlassen, sind Bekennerbriefe, die stets auf die gleiche Weise enden: „Zurück zur Natur! Die Schwarze-Witwe-Spinnen und die Gottesanbeterinnen sind unser Vorbild!“
Das Ringelwurmszenario. Wie so oft, schlagen auch dieses Mal die Männer zurück. „Zurück zur Natur! Halten wir es mit dem vielborstigen Ringelwurm!“, verkündet der Schlachtruf einer militanten Machobande. Wie ihre tierischen Idole, finden diese Männer ein besonderes Vergnügen daran, Frauen zu schwängern und nach der Geburt ihrer Kinder aufzuessen. Das Bundeskriminalamt verstärkt den Fahndungsdruck, jedoch ohne Erfolg.
Das Igelwurmszenario. Angeekelt durch derlei Vorkommnisse, verfällt eine Gruppe von Biologinnen auf die Idee, das männliche Geschlecht im Labor künstlich aufs Allernotwendigste zu reduzieren. Sie entwickelt ein wurmförmiges Zwergmännchen, das in die weibliche Bauchhöhle eingepflanzt wird und dort nach Bedarf Eier befruchtet.
„Zurück zur Natur!“, ist ihre Parole. Die Igelwürmer im Mittelmeer würden es genauso machen. Der große, der unabschätzbare Vorteil ihrer Methode sei, dass die offenbar unverträglichen Menschengeschlechter im Alltagsleben getrennt und doch auf wundersame Weise wieder zusammengefügt würden. Gewalttätige Geschlechterkämpfe seien ein für allemal ausgeschlossen.
Es folgt ein Massenansturm von Männern, die den Rest ihres Lebens genauso wohlig-gemütlich beschließen wollen, wie sie es angefangen haben: in der Gebärmutter. Aber nach einigen Versuchsreihen stellt sich heraus: Die Einverleibten werden in ihrem neuen Leben so faul, dass sie die ihnen angetragene Aufgabe der Zeugung völlig vergessen. Ein Fehlschlag.
Das Rennechsenszenario. Das wiederum veranlasst eine andere Gruppe feministischer Wissenschaftlerinnen, sich verstärkt der Produktion weiblicher Klone zu widmen. „Das einzige, wozu das männliche Geschlecht überhaupt taugt, ist das Zeugen“, heißt es in ihrem Manifest. „Wenn wir die Jungfernzeugung beherrschen, brauchen wir die Männer überhaupt nicht mehr. Zurück zur Natur!“ Nach mehrmonatigem Studium entsprechender Vorbilder – Asseln, Blattläuse, Fadenwürmer, Muschelkrebse, Salamander und Rennechsen – führt die Gruppe erste Klonversuche im Labor durch. Mit Erfolg.
Dennoch endet auch dieser Versuch zur Beendigung des ewigen Geschlechterkriegs im Chaos. Die Konkurrenz unter den Wissenschaftlerinnen, wer von ihnen sich endlos vermehren darf, ist enorm. Eine Biologin, die nachts heimlich die im Reagenzglas befindlichen Eier einer Kollegin gegen ihre eigenen austauschen will, wird von ihrer Rivalin im Zorn erschlagen.
Das Grundelszenario. Angesichts all dieser Schreckensereignisse bildet sich unter beiden Geschlechtern eine starke pazifistische Bewegung, die sich mit großen Demonstrationen bemerkbar macht und lila Tücher schwenkt. „Zurück zur Natur“ ist ihre Parole und die Grundeln ihr Maskottchen. „Lasset uns werden wie die Grundeln!“, beten engagierte Pfarrer zum Himmel. Die in Korallenriffen lebenden Fische haben nämlich die anbetungswürdige Eigenschaft, sich bei Bedarf binnen weniger Tage in das andere Geschlecht zu verwandeln.
Und tatsächlich: Die Pfarrer werden erhört, zahlreiche Frauen werden zu Männern, viele Männer zu Frauen. Im Bundesumweltministerium allerdings wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, daran sei weniger Gott schuld als die Umweltverschmutzung durch Dioxin und das in Schiffsanstrichen enthaltene TBT. Beide Supergifte verstünden es, den Hormonhaushalt gründlich durcheinander zu bringen. Die ausgleichende Gerechtigkeit: Dioxin verweiblicht die Männer und TBT vermännlicht die Frauen.
Das Seepferdchenszenario. Dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Chemieindustrie entstehen nunmehr jedoch auch allerhand Wesen, die weder Frauen noch Männer, noch Zwitter sind, sondern oberseltsame Zwischenwesen. Männer mit Brustsäcken zum Beispiel. Unter der Parole „Zurück zur Natur“ schließen sie sich zu Selbsthilfegruppen zusammen und verweisen auf männliche Seepferdchen. Diese haben nämlich auch einen Brustsack, in dem sie die von ihnen befruchteten Eier ihrer Partnerin ausbrüten. Anschließend gebären sie unter wilden Wehenzuckungen lebende Junge.
Kein Wunder, dass die Seepferdchenbewegung eifrigste Unterstützung der Damenwelt erfährt. Um jeden Brustsackmann reißen sich hunderte, ja tausende von Frauen. Die Männer gängiger Machart sind abgeschrieben und sterben binnen kurzem aus.
Ende des Geschlechterkampfes.
Ute Scheub, 44, gehört zu den taz-GründerInnen und lebt heute als freie Autorin in Berlin. Die Tierinformationen sind dem, so Scheub, „großartigen Lexikon“ von Michael Miersch entnommen: Das bizarre Sexualleben der Tiere, Berlin 1999, Eichborn, 316 Seiten, 44 Mark
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