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Heimliche Konterrevolution

Offiziell wird der freie Weltmarkt vorangetrieben. Inoffiziell fürchten Bankiers und Politikerdas Finanzdesaster. Anders als die Ideologie vorsieht, entstehen neue Regelwerke

von HERMANNUS PFEIFFER

Leidenschaftlich wird um den nächsten Präsidenten des Internationalen Währungsfonds (IWF) gestritten. Doch es ist nicht nur eine Debatte um die Person Caio Koch-Weser. Dahinter verbirgt sich eine Auseinandersetzung um die künftige Architektur der internationalen Finanzmärkte, und die Amerikaner trauen dem Deutschen nicht zu, die Aufgaben des IWF souverän weiter zu entwickeln. Zwar ist der Währungsfonds nur eine von vielen Säulen in der Gesamtarchitektur der weltweiten Finanzmärkte – doch dafür ist die Situation umso unübersichtlicher.

Noch heißen die Lieblingswörter Liberalisierung und Deregulierung, freie Währungsspekulation und WTO-Regeln für Finanzgeschäfte. Hymnen auf die neoliberale Ära werden überall gesungen, wo sich Wirtschaftslenker treffen. Doch gleichzeitig fürchten dieselben Bankiers um die Sicherheit ihrer Finanzmärkte. Crash-Propheten sind unter Börsenprofis so häufig wie unter Linken. Leise treiben die Bankiers und Experten daher eine wirtschaftspolitische Konterrevolution voran. Die Welt kehrt zurück in eine Ära der Regulierung.

Die Labilität großer Teile der Weltwirtschaft wurde offensichtlich

Am Anfang dieses Kontrollreflexes steht das Erlebnis der Krise. Krisen haben die Weltwirtschaft immer begleitet, bis heute, und sie sind im kollektiven Gedächtnis traumatisch verankert. Zur Chronologie: Da war nach dem Ersten Weltkrieg die Devisenschwäche der jungen Weimarer Republik, Hyperinflation und später eine Deflationsflut, deren Wellen Hitler an die Macht spülten. Legendärer als die deutsche Deflation wurde der Schwarze Freitag im Oktober 1929, als die Aktienkurse in den Wall-Street-Keller stürzten: Es folgte die Weltwirtschaftskrise. An deren Ende stolperte die Menschheit in den Zweiten Weltkrieg.

Auch die festen (!) Wechselkurse à la Bretton Woods nahmen in der späten Wirtschaftswunderzeit – faktisch 1973 – kein gutes Ende. Die Auswirkungen dieses Schwenks zur Spekulation spüren wir noch heute – als zyklisch wiederkehrende Finanzkrisen. In die Hitliste der großen Währungsturbulenzen gehört notwendig das vielerorts als dramatisch empfundene Taumeln des Europäischen Währungssystems (EWS) Anfang der Neunziger. Das Finale des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms wurde zudem durch die so genannte Schuldenkrise überschattet: Mit einer Billion Dollar stand die Dritte Welt in den Achtzigerjahren in der Schuld des Westens. Die Unbezahlbarkeit dieser gigantischen Summe gefährdete zugleich viele US-Banken. 1994 bedrohte dann die Mexiko-Krise die internationalen Finanzmärkte, und spätestens dieser Peso-Krach bewies die monetäre Instabilität des globalistischen Kapitalismus. Als schließlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1997 die thailändische Währung Baht zusammenbrach, wurde die Labilität großer Teile der Weltwirtschaft offensichtlich.

Bezeichnenderweise trafen die Krisen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Peripherie des modernen Kapitalismus. Doch auch wenn der große Crash nur außerhalb von Deutschland und den USA grassiert: Die Unbilden für Deutsche und Citi-Bank, IWF und Europäische Zentralbank sind heftig genug, um gegenzusteuern – vorausgesetzt, der Preis ist nicht zu hoch.

In ihren Sonntagsreden halten die Wirtschaftslenker am Neoliberalismus fest

Doch offiziell geben die Wirtschaftslenker nicht zu, wie sehr die Krisen sie irritieren. In ihren Sonntagsreden halten sie an den Antworten der klassischen Wirtschaftswissenschaft fest. Also an dem festen Glauben an ein Gleichgewichtsmodell: Auch bei Krisen und Katastrophen soll mittelfristig angeblich alles wieder von selbst ins Lot geraten. Eingriffe von außen – etwa durch einen „virtuellen globalen Staat“ – seien da nur kontraproduktiv und hinderten die Märkte daran, wieder ins solide Gleichgewicht zurückzupendeln. Ein wenig lebensferne Annahmen. An ihnen hält international tatsächlich nur noch die so genannte Bundesbank-Fraktion fest. Die großen Zentralbanken tun weiterhin jedweden politischen Einfluss als größte anzunehmende ökonomische Sünde ab. Diese radikalliberale Fraktion verliert jedoch zunehmend an politischem Boden.

Hinter der ideologischen Vorderfront des Neoliberalismus haben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft inzwischen eine zweite Frontlinie aufgebaut: Aufsicht, Kontrolle und Regelwerk sind die eigentlichen (heimlichen) Wunschbilder. Schon 1995 in Halifax hatten sich unter dem Schock der Mexiko-Krise die Regierungschefs auf ein Frühwarnsystem verständigt. Zukünftig wolle man die Finanzmärkte stärker kontrollieren.

Aufsicht und Kontrolle sind die eigentlichen, heimlichen Wunschbilder

Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen veröffentlichte dann im Oktober 1996 die Mindestanforderungen für die Handelsgeschäfte der Banken. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) legte inzwischen ein Konzept für die „grenzüberschreitende Bankenaufsicht“ vor. Dieses Programm sieht für 140 Staaten sogar einen Einbruch in das Allerheiligste der Geldwelt vor – in das Bankgeheimnis! Es zeichnet sich ab, dass der Basler BIZ-Ausschuss seine 25 Kernprinzipien fast global durchsetzen wird. Damit wären immerhin die Aufgaben und Pflichten der Aufsichtsbehörden international definiert und standardisiert. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) erhielt von den Finanzministern erweiterte Befugnisse zur Kontrolle des weltweiten Kapital- und Zahlungsverkehrs. Dazu wurde die Weltbank mit immer größeren Krisenfonds ausgestattet. Fraktionen in Weltbank und IWF halten ein „solides Finanzsystem“ nur durch eine „bessere (staatliche) Regulierung“ für erreichbar! Obendrein kann der jüngste Schuldenerlass für die ärmsten Länder vorrangig als, wenngleich positiver, egoistischer Akt der Industriestaaten bewertet werden, die „ihrem“ Finanzsystem einen weiteren Stabilisator einziehen wollen. Da überrascht es kaum noch, dass auch das private Internationale Bankeninstitut, dem 250 internationale Geschäftsbanken angehören, gleich eine globale (sic!) Finanzaufsicht fordert.

Übrigens hat die Europäische Union schon heute zu einer höheren „antiliberalen“ Regulierungsdichte geführt, auch in Deutschland. Über 50 Gesetzesinitiativen und Richtlinien werden in nationales Finanzrecht umgesetzt. Der Euro selber ist eine radikale Abkehr vom neoliberalen Dogma: Schließlich baut er – wie ehedem das heute verpönte Bretton Woods – auf festen Wechselkursen zwischen den Staaten auf.

Am Ende der weltweiten „liberalen“ Diskussion um die Stabilität der Finanzmärkte könnte dann eine heimliche wirtschaftspolitische Konterrevolution stehen. Übrigens eine, die weiterhin den meisten Menschen und Ländern nichts nutzt. Es ist an der Zeit, dass sich auch das sozialdemokratisch-grün-linke Lager indie Themen der Finanzarchitektur einarbeitet und faire Gegenkonzepte durchsetzt. Mit einer Steuer auf Währungsgeschäfte, die bei Linken so beliebte Tobin-Tax, wird es nicht getan sein. Und auch nicht mit einer Konzentration auf die Personaldebatte rund um Koch-Weser.

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