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„Endlich beginnt der Klügste am Tabu zu rütteln“

Endlich beginnt der klügste Kopf im Rathaus an dem Tabu zu rütteln, das allzu lange die Eigenstaatlichkeit Bremens für alle Politiker des Stadtstaates zu sein schien. Reinhard Hoffmann beginnt in den letzten Jahren seiner Staatsrattätigkeit öffentlich darüber nachzudenken, welcher Weg aus Bremens Haushaltskatastrophe führen könnte. Bislang gab es bei allen nur die Beschwörungsformel vom Festhalten am bisherigen Sanierungskurs, an dessen baldigem Ende wieder die alte Herrlichkeit des souveränen Bundeslandes Bremen stehen sollte. Tatsächlich schwindet mit jedem Jahr jede Erfolgsaussicht unter den sich immer höher auftürmenden Schulden. Die Sanierungsschimäre muss sogar dafür herhalten, die Zerschlagung der Stadtkultur zu rechtfertigen.

Hoffmann sieht die Rettung Bremens in der politischen Verzah-nung mit dem Umland. Die Wirtschaft Bremens ist schon längst diesen Weg gegangen. Sie ignoriert die Stadtgrenze als Wirtschaftsgrenze. Firmen, geführt von honorigen Stadtpatriziern, siedeln längst im nahen niedersächsischen Umland und bezeichnen sich nach wie vor als Bremer Firmen. Der Speck um Bremen ist aus hanseatischem Fleisch gewachsen. Hoffmann will ihn wieder organisch mit dem Ursprungskörper verbinden. Solche Strukturen sind in allen bundesdeutschen Ballungsräumen anzutreffen. Bremen war nicht nur durch seine Landesgrenzen eingeengt, es hat auch selbst seine Stadtstaatgrenzen tabuisiert. Seit Wilhelm Kaisens Zeiten gilt die Formel, wir bleiben, was wir sind, der kleine feine Stadtstaat. Der Traum ist ausgeträumt. Politische Flächenverbunde entstehen allenthalben. Die Großräume Hannover, Frankfurt, Stuttgart zum Beispiel sind längst zu modernen Horizonten aufgebrochen.

Natürlich sind die Widerstände gegen eine Einbeziehung des niedersächsischen Umlandes in eine Bremen-bestimmte Region scheinbar unüberwindlich. Die reichsten Landkreise Niedersachsens liegen um Bremen. Ihr Scherflein für den niedersächsischen Finanzausgleich ist beträchtlich. Hannover hat noch nie Lust gezeigt, hier etwas zu ändern. Aber der Reichtum der Anrainer ist allein bremengespeist. Ein Siechtum Bremens ist notwendigerweise auch eine Krankheit des Speckgürtels. Solange Bremen tönte, dass es sich mit Bundeshilfe und eigener Kraft rappeln kann, konnten die Regenten des Speckgürtels weiter ungestraft schmarotzen. Den Star muss ihnen Bremen nun stechen. Freilich ist dazu nötig, dass SPD und CDU in Bremen endlich ihren Realitätsverlust überwinden. Bremen kann natürlich nicht als Eroberer ins Umland eindringen. Die neue Großregion braucht eine eigene Entscheidungskompetenz. Der Weg dorthin kennt keine Alternative. Bremen ist nach der Verfassungslage und nach der politischen Realität nahezu unauflösbar. Die Bevölkerung Niedersachsens und Bremens müsste zustimmen. Also bleibt nur die neue Zwischenform. Über sie darf man aber nicht nur mit Bürgermeistern und Landräten sprechen. Hannover ist gefragt, über das Bremen bislang hochmütig hinweggesehen hat. Liebe GenossInnen von der SPD, wagt endlich die Eröffnungsdebatte in der Bürgerschaft. Nicht nur im Rathaus sollte ein kluger Kopf sitzen. Horst-Werner Franke, SPD-Senator a.D.

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