: Dialektik der Aufklärung
Alle reden über die Parteispendenaffäre, nur die Grünen schweigen. Der Verfassungsbruch der CDU wird von ihnen kaum thematisiert. Ein Plädoyer für eine verfassungspolitische Debattevon DANY COHN-BENDIT und MARTIN ALTMEYER
Kennzeichen postmoderner Diskurse in einer Mediengesellschaft ist, dass nicht die Sache entscheidend ist, sondern das Reden über die Sache. Auch das Bewusstsein über das skandalöse Finanzgebaren der CDU ist durch den öffentlichen Diskurs bestimmt: Der Skandal wird in seiner medialen Bearbeitung erst definiert. Erst aus der verwirrenden Vielfalt konkurrierender, aber auch sich ergänzender Skandalbilder entwickelt sich allmählich seine Gestalt. Es scheint so, als ob in diesem Diskurs der CDU-Skandal inzwischen eine gültige Gestalt gefunden habe. Eine grüne Färbung ist darin nicht auszumachen. Ausgerechnet die Grünen haben nämlich an diesem Diskurs nicht teilgenommen und wenn, dann pflichtbewusst ein wenig in den Untiefen des Skandals herumgewatet – ein Beitrag von intellektuellem oder gar politischem Gewicht zur Auslotung der Tiefendimension am Skandalboden war nicht zu vernehmen. Selbstkritisch muss einer der Verfasser zugestehen, dass er sich wegen seiner französischen Hinwendung gerne von den Niederungen der deutschen Politik ferngehalten und den Schwierigkeiten einer Positionsbestimmung bei den Grünen entzogen hat.
Von Joschka Fischer oder Antje Vollmer war nichts zu vernehmen
Wir können heute feststellen, dass die Umrisse dieser Diskursgestalt von drei Linien gebildet werden, auf die sich SPD, CDU und FDP in einem stummen Konsens verständigt haben. Die Sozialdemokraten reduzieren alles auf die persönliche moralische Verfehlung einiger CDU-Politiker, die Christdemokraten übernehmen diese Vorgabe dankbar und verlagern die Verantwortung der Gesamtpartei auf einzelne Repräsentanten, und die FDP ist die liberale Unschuld. Davon haben die drei Altparteien in Schleswig-Holstein auf wunderbare Weise profitiert. Sie feiern einen Sieg, der Ihnen die alten Optionen aus einer Zeit zurückgebracht hat, bevor die grünen Schmuddelkinder ihren Aufstieg begannen: die relative Mehrheit der SPD gesichert, die Verluste der CDU in den üblichen Grenzen der politischen Alltagsschwankungen gehalten, der Wiederaufstieg der FDP als zukünftiger Mehrheitsbeschafferin gelungen. Es ist eine gespenstische Renaissance längst überholt geglaubter Verhältnisse. Und die Grünen? Als einzige Partei wirklich geschwächt und mit Zweitstimmen gerade über die Fünfprozenthürde gehievt, sehen sie einer trostlosen Zukunft in einer Regierung Simonis entgegen, deren willfähriger Garant sie um den Preis der Aufgabe eigener Gestaltungsfähigkeit zu werden drohen.
Dabei hätten die Grünen die Diskurshoheit gewinnen können, wenn sie sich zu den Fragen der Verfassungsmoral durchgearbeitet hätten, die unter den medienträchtigen Oberflächenschichten auftauchen. Denn die mafiosen Begleitumstände der illegalen Finanztransaktionen, an und für sich skandalös genug, sind nicht der eigentliche Skandal. Auch nicht die infame Spekulation auf zugleich antisemitische und philosemitische Ressentiments beim hessischen Vertuschungsmanöver. Sie verdecken bloß die Zweckbestimmung der Gelder. Wozu das viele Geld gespendet wurde, welche Erwartungen die Spender damit verbunden haben, was damit gekauft werden sollte, welche Gegenleistungen erbracht wurden – das sind die politischen Fragen, die die Grünen hätten stellen müssen: im Kern die Frage nach der Käuflichkeit politischer Entscheidungen. Die Beteiligung von Thyssen, Siemens, Elf-Aquitaine oder Kirch ist über den Status von Gerüchten und zusamenhanglosen Details kaum hinausgekommen und versickert gerade in einem ausgesprochen diskret arbeitenden Untersuchungsausschuss. Die Grünen haben zu diesen Fragen weitgehend geschwiegen. Ob im Bewusstsein staatspolitischer Verantwortung, ob aus Koalitionsrücksichten, ob aus intellektueller Verkrustung, politischer Naivität oder rätselhaftem taktischen Kalkül – aus vielen Gründen haben sie die Tiefenschicht des Skandals nicht ausgeleuchtet. Kein Beitrag im Reigen der allfälligen Talkshows, kein gut platziertes Interview, keine verfassungspatriotische Rede, die den Skandal ins gleißende Licht der Aufklärung gerückt hätten. Von Joschka Fischer oder Antje Vollmer, denen man so etwas zutrauen könnte, war nichts zu vernehmen. Einen Höhepunkt an politischer Harmlosigkeit dokumentiert die grüne Fraktionschefin im Bundestag, Kerstin Müller, die in einem Interview in der FR die geringen Verluste der CDU in Schleswig-Holstein „schon erstaunlich“ findet und dahinter „Wählerbindungen“ vermutet, die den Skandal überdauern.
Die Grünen haben sich höchstens am allgemeinen Lamento beteiligt
Anstatt politische Korruption als systematisch betriebenen Verfassungsbruch zu skandalisieren, haben die Grünen sich höchstens am allgemeinen Lamento über den eklatanten Verstoß gegen das Transparenzgebot der Parteienfinanzierung beteiligt. Die Verfassung verlangt aber die Offenlegung der Parteifinanzen, damit der Bürger erkennen kann, welche Interessen dahinter stehen. Die Grünen haben mit ihrer vornehmen Zurückhaltung darauf verzichtet, über die Aufklärung des korruptiven Untergrunds eine Verfassungsdebatte in Gang zu setzen und im politischen Diskurs demokratisches Bewusstsein und Loyalität zum Grundgesetz zu verankern. Gegenüber der „rückhaltlosen Aufklärung“ der CDU hätte die wirklich aufklärerische Position sein müssen: Die politische Macht muss transparent, im offenen Streit der Meinungen und in der freien Konkurrenz der Lösungsvorschläge für die gesellschaftlichen Zukunftsfragen erworben werden und sich diskursiv rechtfertigen können; an diesem Diskurs sollen sich auch die Unternehmer beteiligen – die Berliner Republik darf nicht käuflich sein.
Diese einfache Botschaft haben die Grünen im gesellschaftlichen Diskurs über den Parteispendenskandal bisher nicht verbreitet. Dabei hätten sie gerade aus ihrer widersprüchlichen Geschichte ihre Hinwendung zum Verfassungspatriotismus plausibel erklären und vermitteln können. Wenn sie in diesem Diskurs schweigen, wie wollen sie dann die Diskursführung erringen, wenn es um die Zukunft der Atomkraft geht, um die energiepolitische Wende, um die ökologische Steuerreform, um Ressourcenschutz, um den Generationenvertrag, um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und die demokratische Steuerung der Globalisierungprozesse? In all diesen Debatten wird es darum gehen, Überzeugungen zu begründen, Interessen offen zu legen und Positionen diskursiv zu rechtfertigen, um gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Der stumme Zwang des besseren Arguments muss an die Stelle der heimlichen Verpflichtung durch das große Geld treten. Die verdeckte Finanzierung von Parteien ist nichts anderes als die Verweigerung des öffentlichen Diskurses über die Gestaltung der Zukunft. Diese Einsicht könnte eine Dialektik der Aufklärung erzeugen – wenn man diesen geschundenen Begriff aus seiner orwellschen Umdeutung befreit, in die er durch Wolfgang Schäuble, Roland Koch oder Ruth Wagner geraten ist. Ob die Grünen das bis zu ihrem Parteitag noch begreifen werden?
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