piwik no script img

„Testlauf zur Aufrichtigkeit“

Festliches Reglement: Auf Kampnagel zeigt die Live-Art-Truppe „Gob Squad“ ihre neue Performance Say it Like You Mean it  ■ Von Karin Liebe

Offen, neugierig und humorvoll – so stellt sich die deutsch-englische Live-Art-Gruppe Gob Squad ihr Wunschpublikum vor. Idealerweise soll es ganz ohne Erwar-tungshaltungen zu ihrer Performance Say it Like You Mean it – The Making of a Memory strömen, die am 15. März auf Kampnagel uraufgeführt wird. Und da ist es nur konsequent, wenn dem siebenköpfigen Ensemble nur spärliche Informationen über ihre neue Produktion zu entlocken sind.

Einen „Testlauf zur Aufrichtigkeit“ wollen sie der grassierenden Unverbindlichkeit entgegensetzen. Einen spielerischen Gegenentwurf zu all den halbherzigen Zusagen, schnellen Rückziehern und schwammigen Statements im Witzelton, die in einer Zeit relativer Wahrheiten nicht nur bei Politikern Hochkonjunktur haben. Diesen modischen Zynismus, bei dem lebenslange Versprechen nur Lacher hervorrufen, möchten Gob Squad einen Abend lang in Vergessenheit bringen. Eine kollektive Erinnerung soll stattdessen kreiert werden beim Versuch, „es zu sagen, wie man es meint“. Eben um Aufrichtigkeit, nicht um Authentizität oder Wahrheit geht es dabei. Den Rahmen bildet eine Art Chatroom oder Singleparty, bei der alle Beteiligten die Chance haben, neue Identitäten auszuprobieren. Alle, das sind nicht nur Gob Squad, das ist auch das Publikum. 60 bis 80 Besucher können pro Abend zu Gast sein und die Spielregeln des Festes mitbestimmen.

Als Mitmachtheater möchten die Performer ihre Show aber auf keinen Fall verstanden wissen. „Keiner wird auf die Bühne gezerrt“, verspricht Berit Stumpf. Wie ihre frühere Kommilitonin Johanna Freiburg hat die 30-jährige Deutsche und ehemalige Studentin der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen die restlichen fünf Gruppenmitglieder über ein Auslandssemester an der Universität Nottingham kennengelernt: die Briten Alex Large, Sean Patten, Liane Sommers, Sarah Thom und Simon Will, damals alle Studenten am Fachbereich „Visual and Performing Art“.

Seit 1994 sprengen Gob Squad mit ihren multimedialen Live-Art-Projekten alle Grenzen zwischen den Kunst-Disziplinen. Und das mit großem Erfolg. Derzeit verschafft ihnen ein einjähriges Stipendium als „Artists in Residence“ beim Berliner Zentrum für aktuelle Künste Podewil eine willkommene Infrastruktur. Meist zweisprachig und ohne Regisseur konzipiert, setzen sie in Performances und Videoinstallationen, Bühnenshows, Internetsoundstücken und Live-Hörspielen Rituale der Alltagswelt in neue, überraschende Zusammenhänge. Dabei gehen sie klassischen Theaterräumen eher aus dem Weg. In urbanen Locations wie Wohnhäusern, Büros, Parkplätzen und U-Bahnhöfen konfrontieren sie städtische Realität mit ortsunabhängigen Fantasien. So bewegten sich in House Performer und Pub-likum in einem speziell präparierten Gebäude, das von Raum zu Raum alltägliche Rituale in bizarre Bilder verwandelte, und bei der 40-stündigen Performance Work lief zwischen fleißigen Bürohengsten in Anzug und Krawatte bisweilen ein Astronaut oder ein Matrose hindurch.

Das Hamburger Publikum konnte Gob Squad zum ersten Mal vor einem Jahr auf Kampnagel mit ihrer Performance Safe sehen, einer Collage aus Easy-Watching-Theatre, Rockmusik, Videoprojektionen und Tanz rund um den fingierten Flugzeugabsturz einer Rockband. Das war ihr bislang „extremstes Theaterprojekt“, wie Berit Stumpf es ausdrückt. Say it Like You Mean it soll jetzt wieder weg vom Theatralen führen. Die räumliche Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne wird aufgehoben, der Zuschauer vom bloßen Voyeur zum Akteur befördert, der Regeln und Codes des Abends mit definiert. Jede Aufführung soll ihre ganz eigene Dynamik entwickeln. Festgefahrene Kategorien sind Gob Squad überhaupt ein Gräuel. Was sie machen, ist Live Art: lebendige Kunst, die jedes Mal anders ist und in keine Schublade passt.

Mi, 15., sowie 17. bis 19. und 22. bis 25. März, 20 Uhr, k6

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen