Kalter Wind am Spittelmarkt

Seit 100 Tagen ist Schulsenator Klaus Böger (SPD) im Amt und hat bereits den geballten Zorn der Lehrer auf sich gezogen. Als stellvertretender Bürgermeister wirkt er blass

Hier oben zieht es. Das Büro des Schulsenators, im siebten Stock eines Plattenbaus am grauen Spittelmarkt gelegen, ist keine gemütliche Bleibe. Als die Behörde vor zwei Jahren hier einzog, zeterten die Mitarbeiter heftig – zu große Fenster, zu schlechte Heizung, zu viel Wind.

Trotzdem wollte der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger in dieses Büro unbedingt einziehen. Schon lange vor der Wahl hatte er sich mit bildungspolitischen Themen profiliert. Eine eigens einberufene Kommission präsentierte Vorschläge für eine moderne Schulpolitik und lehrte die Traditionalisten der Lehrergewerkschaft GEW das Fürchten. Eines jedenfalls schien ausgemacht: Anders als die Vorgänger Jürgen Klemann (CDU) und Ingrid Stahmer (SPD) würde er an der Spitze der Schulbehörde allen Stürmen trotzen.

Es ist anders gekommen. Schon nach den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit sieht Böger reichlich zerzaust aus, trotz seiner Kurzhaarfrisur. Im neuen Job scheint dem Politprofi, der fünf Jahre lang im Parlament dem CDU-Fuchs Klaus Landowsky Paroli bot, die Fortüne abhanden gekommen zu sein. Selbst die eigenen Mitarbeiter stöhnten alsbald über das mangelnde Kommunikationstalent des Senatsneulings.

Kaum hatte er den Schreibtisch der glücklosen Ingrid Stahmer übernommen, brach er einen Prinzipienstreit über den Religionsunterricht vom Zaun. Gerade erst hatte die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass die Teilnahme am Werteunterricht in Berlin vorerst freiwillig bleibt. Die eigene Partei schäumte. Ohne Not ließ Böger einen Geist entweichen, den er so schnell nicht wieder einfangen kann – zu unversöhnlich stehen sich in dieser Glaubensfrage Positionen gegenüber.Ein Kompromiss scheint kaum möglich.

Die Lehrer sind auf Böger nicht gut zu sprechen, seit er ihre Arbeitszeit kurzerhand um eine Stunde wöchentlich erhöhte. Schulreformer jedoch fordern längst ein völlig neues, gerechteres Arbeitszeitmodell: Auf diese Weise hätte der Senator die Mehrarbeit ungleich eleganter verpacken können.

Als ungeliebtes Kind seines Ressorts muss Böger auch die Drogenpolitik verantworten. Bislang allerdings hat er sich nach eigenem Bekunden „mit dem Bereich Drogen noch nicht näher beschäftigen können“. Der Senator ist entschlossen, das wahltaktisch heikle Feld voll und ganz der Politik des Innensenators Werthebach zu überlassen.

Noble Zurückhaltung übt Böger auch als Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen. Während Vorgängerin Annette Fugmann-Heesing den Posten bisweilen zu forschen Auftritten im Bundestag nutzte, herrscht bei Böger vorerst Funkstille. Ist Diepgen verhindert, lässt er sich vorzugsweise von seiner CDU-Kollegin Christa Thoben vertreten.

Dabei war Böger bislang der Ruf eines durchsetzungsstarken Modernisierers vorausgeeilt. Als er vor fünf Jahren den Fraktionsvorsitz von Ditmar Staffelt übernahm, suchte er der Berliner SPD innerhalb kurzer Zeit das alte Westberliner Subventionsdenken auszutreiben. Anfang 1996 holte er die eiserne Sparsenatorin Fugmann-Heesing nach Berlin, und in den Folgejahren setzten er nicht nur deren Finanzpolitik, sondern auch eine durchgreifende Bezirksreform gegen den zähen Widerstand der CDU durch.

Die eigene Partei aber brach die Umschulung vorzeitig ab, zu der Böger sie vergattern wollte. Dass die Mitglieder in einer Urwahl nicht ihn, sondern den politischen Vorruheständler Walter Momper zum Spitzenkandidaten kürten, hat er wohl bis heute nicht verwunden. Damals sei sein „breites Kreuz gebogen worden“, sagt Böger rückblickend.

So gesehen, erscheint der Abgang der streitbaren Finanzsenatorin und der Siegeszug des Parteivorsitzenden Peter Strieder, der die Berliner SPD in all ihrer Sprunghaftigkeit repräsentiert, nur als logische Konsequenz. Jene Irritationen, die Böger auslöste, sind womöglich nur eine Folge seiner eigenen Irritation, in diesem Personaltableau keinen Platz mehr zu finden.

Wenn die SPD im Jahr 2004 wieder einen Diepgen-Herausforderer bestimmen muss, wird Böger seinen Hut wohl nicht mehr in den Ring werfen. Es scheint, als wolle er jetzt nur noch seine politische Karriere mit Anstand zu Ende bringen.

Auch die Klimaprobleme im siebten Stock, berichten Mitarbeiter, habe man allmählich im Griff. Frischer Wind wehe schon längst nicht mehr.

RALPH BOLLMANN