piwik no script img

Dem neuen Senat fehlt das Leitmotiv

Die ersten hundert Tage hat die große Koalition überraschend harmonisch überstanden. Positiv wirkt sich der Tausch der Ressorts Finanzen und Bauen zwischen CDU und SPD aus. Eine Sinn stiftende Leitschnur für das Regierungshandeln fehltvon DOROTHEE WINDEN

Der Vorsatz war belächelt worden. Niemand wollte an die edle Absicht der großen Koalition glauben, die dritte Auflage der gemeinsamen Regierung harmonischer zu gestalten. Nach zehnjährigem Dauerclinch der CDU/SPD-Regierung war es daher in der Tat überraschend, dass die ersten hundert Tage harmonisch verliefen.

Doch ohne einige die Harmonie begünstigende Faktoren wäre dies kaum möglich gewesen: Da ist zum einen die politische Großwetterlage. Die Spendenaffäre der Bundes-CDU tangiert die Berliner CDU zwar nicht direkt, doch ihre Fähigkeit zu politischen Attacken ist dadurch zumindest vorübergehend geschwächt. Die SPD ihrerseits musste zunächst ihr historisch schlechtetes Wahlergebnis von 22,4 Prozent verarbeiten. Das versetzte der Lust zu politischen Angriffen auf den Koalitionspartner einen kräftigen Dämpfer.

Positiv wirkte sich auch der Tausch der Ressorts Finanzen und Bauen zwischen CDU und SPD aus: Mit dem Abgang der SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing ist der CDU ihre Lieblingsfeindin abhanden gekommen. Den Nachfolger, CDU-Mann Peter Kurth, hat die eigene Partei bisher geschont. Aufatmen kann der Finanzsenator allerdings noch nicht. Die Haushaltsberatungen laufen auch deshalb weitgehend geräuschlos, weil der Haushalt 2000 bis aufs Komma in den Koalitionsgesprächen verhandelt wurde.

Durch den neuen Ressortzuschnitt entfiel auch ein zweiter Konfliktherd: Die Dauerfehde zwischen Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), die zuweilen skurrile Formen annahm, ist passee. Strieder, der das Großressort Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung übernahm, hat jetzt freie Bahn. Er macht sich nun daran, nach Klemannscher Manier Fakten zu schaffen – nur mit anderen Vorzeichen. Strieder, für den der öffentliche Nahverkehr eine zentrale Rolle spielt, läßt in der Leipziger Straße vorsorglich schon mal Straßenbahnschienen verlegen. Die CDU, die sich dagegen lange gewehrt hatte, hält still. So mancher Christdemokrat fühlt sich in seiner Auffassung bestätigt, dass die intern umstrittene Aufgabe des Verkehrsressorts folgenschwer ist. Doch bislang artikuliert sich dieses Unbehagen nicht.

Das liegt auch daran, dass die Arbeit des neuen Parlaments erst langsam anläuft. Etliche Sprecherposten wurden neu verteilt, viele neue Abgeordnete müssen sich noch einarbeiten. Auch die Opposition lässt noch Schlagkraft vermissen. „Denen gelingt es noch nicht, Anträge so intelligent zu stellen, dass sie einen Keil zwischen die Fraktionen von CDU und SPD treiben können“, stellt ein Abgeordneter fest.

Zudem macht sich bemerkbar, dass der Wadenbeißser der CDU-Fraktion, Volker Liepelt, zum Wirtschaftsstaatssekretär aufgestiegen ist. Noch ist keiner in seine Fußstapfen getreten.

In der Sachpolitik hat die große Koalition noch nicht viel vorzuweisen. Es ist paradox, aber bei der dritten Wiederauflage der großen Koalition lief die Regierungsmaschine so schleppend an wie noch nie. Wirklich bedeutende Senatsentscheidungen sind noch nicht gefallen. Verwaltungsroutine bestimmte das Bild, oft genug auch Marginalien. Nur ein Beispiel: Diese Woche wurde unter anderem die Verlängerung einer Verwaltungsvorschrift über die „Anerkennung und Überwachung der kleingärtnerischen Gemeinnützigkeit“ beraten. Das mutet nicht gerade hauptstädtisch an.

Ohnehin fehlt dem Senat diesmal das Leitmotiv für die Regierungsarbeit. Vor vier Jahren erklärte die SPD die Haushaltskonsolidierung zur Richtschnur des Regierungshandeln. Daran wird nun festgehalten, doch ein neues, Sinn stiftendes Leitmotiv hat keiner der beiden Koalitionspartner entwickelt. Die Absichten der SPD, diesmal die soziale Stadtentwicklung zum zentralen Thema des Regierungshandelns zu machen, sind noch recht vage geblieben.

Der Senat hat nicht zuletzt ein Marketingproblem, seine Leistungen auch öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. SPD-Senator Peter Strieder lieferte dafür kürzlich ein prägnantes Beispiel: Der Potsdamer Platz, in den vier Milliarden Mark private Investitionen flossen, ist in aller Munde und zum Symbol des neuen Berlin geworden. Dagegen sind die vier Milliarden Mark, die der Senat im gleichen Zeitraum in die Sanierung von Stadtquartieren gesteckt hat, naturgemäß so verstreut eingesetzt worden, dass die Wirkung verpufft. Strieder schlägt daher vor, öffentliche Gelder effektvoller einzusetzen. Ein Beispiel: Statt punktuell mal hier, mal dort einen U-Bahnhof zu sanieren, solle die BVG eine Linie zur Referenzstrecke erklären, bei der alles auf den neusten Stand gebracht wird.

Über das Vakuum eines übergreifenden Leitmotivs für die Regierungspolitik täuscht derzeit die neue Rolle Berlins als Hauptstadt hinweg. Die Stadt gefällt sich zwar in einer neuen Rolle, doch eine klare Vorstellung, wie diese ausgefüllt werden soll, fehlt. Fast scheint es, als wolle man sich mit der Konzentration auf die bauliche Vollendung der Stadt davor zu drücken, die eigene Rolle klar zu definieren.

Die Anwesenheit der Bundesregierung hat zumindest einen unverhofften Nebeneffekt. Die lokalpolitischen Wogen werden unmerklich geglättet, ist aus Senatskreisen zu hören. Das kleinkarierte Gezänk in Hörweite der Bundesregierung ist dann doch zu peinlich.

Was nicht heißt, dass nicht das ein oder andere Konfliktthema den Koalitionsfrieden stören wird. Zündstoff bietet beispielsweise der geplante Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften. SPD-Senator Strieder will die GSW an die landeseigene Bankgesellschaft verkaufen. Das wäre gut für die Mieter, aber schlecht für die Landeskasse. Denn der Verkaufserlös würde wohl geringer ausfallen als bei einer Privatisierung. Das kann Finanzsenator Kurth nicht gefallen. Wie lange die ungewohnte Harmonie anhält, ist daher durchaus fraglich.

Zitat

Ein Abgeordneter sagt:

Der Opposition gelingt es noch nicht, Anträge so intelligent zu stellen, dass sie einen Keil zwischen die Fraktionen von CDU und SPD treiben können

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen