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Allerlei Transvestitenfische

Rosa von Praunheim, Altstar der deutschen Schwulenbewegung, hat einen Film über Magnus Hirschfeld, den Begünder der deutschen Sexualwissenschaft, gedreht. Von platonischen Zwischenwesen, schwuler Emipirie und kastrierten Prinzenvon DETLEF KUHLBRODT

Rosa von Praunheim ist nun auch schon 57. Normalerweise lebt er mit seiner 95-jährigen Mutter, seinem langjährigen Freund („ein Wunder, dass dich jemand 23 jahre aushält“) und dessen Freund („der unheimlich nett ist“) zusammen. Nun sitzt er gegen Mittag in einem Zimmer des Berliner Hotels Kempinski und empfängt Journalisten, die mit ihm über seinen neuen Film „Der Einstein des Sex“ reden möchten. Kaffee, Selters und Wolfgang W. Werner von der PR sind auch dabei. Zwei Kollegen des Berliner Schwulenmagazins Magnus, das sich nach Hirschfeld benannt hatte, gehen gerade.

Rosa von Praunheim trägt einen eleganten schwarzen Trainingsanzug und fragt, was die Liebe so mache. Wolfgang W. Werner macht einen Witz über Pizza als Topos in Sexfilmen. Als ich nach Berlin kam, hatte ich als Komparse zehn Tage bei Praunheim mitgemacht. Als Mitglied einer von der schurkischen Lotti Huber und ihrem zwielichtigen Mann geführten Sekte, die den „optimalen Optimismus“ vertrat. Im Film war nur eine Szene übrig geblieben, in der ich sagte, ich sei sehr schüchtern, was zwei nette Sexbomben dann verändern sollten.

Seine Autobiografie hatte er schon Ende der 70er geschrieben. Rosa von Praunheim also: in Riga geboren, Kindheit in der DDR, Hochschule der Künste in Berlin – Malerei. „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ war eine der Initialzündungen der bundesdeutschen Schwulenbewegung. Mittlerweile hat er mehr als 50 Filme gemacht. In den letzten 20 Jahren war Elfie Mikesch immer hinter der Kamera. Die war immer so leicht angeschrägt; vor allem aber sorgte sie durch ihre superangenehme, zurückhaltende Art dafür, dass die Stimmung bei den Dreharbeiten nicht umkippte. Ein bisschen paranoid war Rosa ja schon zuweilen und hatte schrille Angst davor, die Cola aus dem Glas zu trinken, denn da hätte ja auch jemand Drogen reintun können.

Wo andere auf Perfektion und dramaturgische Konventionalitäten setzten, arbeiteten Praunheim und seine Freunde mit der Lebendigkeit seltsam anrührender „echter“ Menschen, deren Ruhm – abgesehen von Lotti Huber – meist nur kurz war: Dietmar und Praunheims Kieler Tante Luzie in der „Bettwurst“ (1970) oder der nicht unbedingt vom Glück verfolgte Kneipensänger Friedrich Steinhauer in „Horror Vacui“ (1984) – nie sang jemand im Film ein so herzzerreißendes Ave Maria wie die hagere „Nachtigall von Ramersdorf“. Es gibt immer noch einige, die die seltsam schönen Liebesdialoge aus der Bettwurst auswendig können.

„Unsere Leichen leben noch“, der erste Film mit seiner Freundin Lotti Huber, deren Nachlass er vor kurzem zu versteigern half (Mit dem Geld soll eine Musiktherapeutenstelle am Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer finanziell unterstützt werden), brach 1981 auf sehr lustige Weise das Altensex-Tabu; „Berlin – Stadt der verlorenen Seelen“, brachte 1983 viele verlorene Seelen dazu, nach Berlin zu ziehen.

Anfang der 90er, in den Hochzeiten von Aids, sorgte von Praunheims Outing-Kampagne für viel Emotionen: „Das hatte mich vom beliebtesten zum bestgehassten Schwulen Deutschlands gemacht und hängt mir immer noch nach. Viele warfen mir Publicitysucht vor. Ich behaupte, dass ich es gemacht habe, weil ich es wichtig fand, Leute zur Verantwortung zu ziehen, die schwul und lesbisch sind und mithelfen können, die Welt zu verändern.“

Rosa von Praunheim sagt gerne naiv klingende Sachen, wie „die Welt verändern“, hat die Lust an der Provokation allerdings auch nicht verloren. Die Machart der befreiten Fernsehsexualität kritisiert er zwar auch, weil sie Sexualität auf Sex reduziere, andererseits geht sie ihm auch nicht weit genug. „Päderastie zum Beispiel ist immer noch ein riesiges Tabu. Ich finde, dass die Gesellschaft da unheimlich primitiv mit umgeht. Da werf ich auch den Feministinnen vor, dass sie da vielleicht noch sehr konventionell reagieren.“

Sein autobiografischer Film „Neurosia – 50 Jahre pervers“, ein Produkt der „Outingkrise“, war leider etwas lamentös ausgefallen. Für jemanden, der sich über seine Sexualität definiert, ist es halt schwer, alt zu werden, und wahrscheinlich hat die „Outingkrise“ auch dazu geführt, dass Rosa immer häufiger zwischen Berlin und Kalifornien herumpendelte. „Wenn ich im Ausland arbeite, ist das oft leichter. Du bist interessanter für die und die für dich. Hier bin ich abgenutzt und ich kann vieles nicht leiden, weil ich es kenne.“

Nun hat er sich also an Dr. Magnus Hirschfeld gewagt, den 1868 geborenen Großvater der Schwulenbewegung sozusagen, den jüdischen Mediziner, der sich schon Ende des 19. Jahrhunderts für die Liberalisierung des Sexualstrafrechts und die Abschaffung des Paragrafen 175 einsetzte, der das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen und die Zeitschrift für Sexualwissenschaft herausgab (am Samstag erscheint im taz.mag eine politische Würdigung Hirschfelds: „Der Faktenkopf“). Hirschfeld gründete die Berliner Zweiggruppe der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und befragte als Kinsey-Vorläufer per Fragebogen tausende nach ihrer sexuellen Orientierung.

1919 gründete er das Berliner „Institut für Sexualforschung“ und konnte 1929 die Reform des Homosexuellen-Strafrechts feiern. In seinen Büchern vertrat er die platonisch („Gastmahl“) beeinflusste Lehre vom dritten Geschlecht, den Uraniern, ging also davon aus, dass Homosexualität biologisch bedingt sei. Im Mai 33 wurde das Institut für Sexualwissenschaft von den Nazis zerstört. Hirschfeld emigrierte nach Nizza, wo er 1935 starb.

Als Empiriker und angesehener Kämpfer gegen Vorurteile war Hirschfeld groß, seine wissenschaftlichen Thesen scheinen aus heutiger Sicht eher obskur, auch wenn man ihn auf einer Vortragsreise in den USA als „Einstein des Sex“ feierte. Allerdings gibt es ja auch in der sonstigen Natur sexuelle Zwischenstufen, allerlei Schwulitäten und Transvestitenfische. Über das Privatleben von „Tante Magnesia“ ist wenig bekannt. „Wenn er sich als Schwuler geoutet hätte“, so Praunheim, wäre er sofort kriminalisiert worden und hätte nichts erreicht.“

So ist der Film gezwungenermaßen in vielem spekulativ. Zum Beispiel wenn er den jungen Hirschfeld am Meer fickende Hunde zeichnen lässt oder als sozialistischen Menschenfreund bei der Kastration eines reichen orientalischen Prinzen zusehen läst oder die eine oder andere Liebesgeschichte einflicht. Wer Hirschfeld kennt, wird sicher kaum was dazulernen, doch Praunheims überraschend konventioneller Historienfilm, bei dem allerlei Stars mitwirkten (Ben und Meret Becker oder Otto Sander) ist vielleicht ohnehin eher als unterhaltsamer Geschichtsunterricht gedacht.

Es wäre ungerecht, ihm das zum Vorwurf zu machen, zumal er zunächst geplant hatte, einen Dokumentarfilm über Hirschfeld zu drehen, was bei den für die Finanzierung halt nun mal notwendigen Sendeanstalten auf wenig Interesse stieß. Allerdings wäre es vielleicht noch schöner gewesen, wenn er Ausschnitte aus den aufklärerischen Filmen, für die Hirschfeld das Buch schrieb (u. a. „Anders als die Andern“) mit eingebaut hätte.

„Der Einstein des Sex“ erinnert an tausende Schwule, die sich anfangs des Jahrhunderts das Leben nahmen, weil sie erpresst wurden, die zusammengeschlagen wurden oder sich verstümmelten. Er erinnert auch an die unterschiedlichen Fraktionen derer, die sich für eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts einsetzten, an völkische Männerfreunde wie den Journalisten Adolf Brand, an die Humanisten und Sozialisten um Hirschfeld und nebenbei auch an Bebel, der Hirschfeld schließlich unterstützte.

„Die Schwierigkeit mit Hirschfeld war, dass er ein zu guter Mensch war, er ist nicht so gebrochen. Das macht es schwer im Dramatischen. Ich habe dann bewusst eine konventionelle Form gewählt, um ihn zu emotionalisieren. Die Zeit der Jahrhundertwende ist eine strenge puritanische Zeit und braucht dann auch so eine Form“, sagt Rosa von Praunheim und dass das „natürlich ein eher harmloser Film“ sei.

Ein bisschen sieht sich Praunheim in der Nachfolge Hirschfelds: „Weil ich ja auch so ein Empiriker bin. Ich möchte am liebsten eine Bibliothek machen von allen Schwulen und Lesben und Transgender und Bisexuellen der Welt. Du hast Lebensgeschichten und du hast einen schwulen Friedhof, und dann gehst du mit der Maus aufs Grab und drückst auf den Knopf und siehst dann irgendwelche Geschichten. Ob das nun ein Neunzehnjähriger oder ein Neunzigjähriger ist.“ Tonband, hilf! Was meint er da nun wieder mit?

Dann spricht er so ein bisschen proustmäßig („mémoire involontaire, Madeleine!“) von unterschiedlichen Gerüchen, die diesen oder jenen ins superindividuelle Glück geleiten. Oder auch von Gummistiefeln auf einem Bauernhof. Quietsch und Matsch und leckersuper! „Je mehr du über dich weißt, umso schöner ist das.“ Lang lebe die innere Aufzeichnungsanstalt!

Dann – trara – das Lebensding; der „große Kannibalenfilm“ von dem er, wenn ich mich richtig erinnere, auch schon vor 16 Jahren mit pointensicherer, ruhiger Stimme erzählt hatte: „Kannibalistische Szene in LA, spezielle Restaurants, es geht um Anonyme Kannibalen und die Opfer von Kannibalen und verschiedene Hilfsgruppen, die es da gibt. „

2001 ist Praunheim an der Ausstellung „Queer World“ im „Haus der Kulturen der Welt“ beteiligt. „Da geht es um die schwullesbische Situation in schwulenfeindlichen Ländern. 60 Millionen Schwule und Lesben können sich in China nicht ausleben. So verbringe ich meinen Lebensabend. Mal sehen, was daraus wird und wie weit Herr Haider nun Europa erobert und dann die ganze Welt. Wehret den Anfängen! Ich finde es wichtig, da Stellung zu beziehen.“ Gesagt, getan.

„Der Einstein des Sex“. Regie: Rosa von Praunheim. Mit Kai Schumann, Friedel von Wangenheim, Wolfgang Völz, Ben Becker, Otto Sander u. a. Deutschland 1999. 102 Min.

Zitate:

„Päderastie zum Beispiel ist immer noch ein riesiges Tabu. Ich finde, dass die Gesellschaft da unheimlich primitiv mit umgeht. Das werfe ich auch den Feministinnen vor“

„Ich bin auch ein Empiriker. Ich möchte am liebsten eine Bibliothek machen von allen Schwulen und Lesben und Transgender und Bisexuellen dieser Welt“

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