: Jospin verteilt Steuergeschenke
Frankreichs Premierminister Jospin gibt die unerwartet hohen Steuermehreinnahmen ans Volk zurück. Doch die Konservativen hätten damit lieber Schulden abgebaut und ihre Klientel versorgt, während den Linken die Mehrausgaben nicht reichen
aus Paris DOROTHEA HAHN
Nachdem am Donnerstag Hunderttausende in ganz Frankreich gegen seine Politik gestreikt und demonstriert hatten, reagierte der sozialistische Premier Lionel Jospin am Abend live im Fernsehen. Er verteilte die unerwarteten Früchte des Wirtschaftswachstums in Form von Steuersenkungen für alle und als Steuernachlässe für Niedrigverdiener. Zugleich kündigte er zusätzliche Ausgaben für Krankenhäuser, Schulen, Problemviertel der Großstädte sowie die Opfer von Ölpest und Sturm an. Insgesamt 40 Milliarden Franc, rund 12 Milliarden Mark, will er so ausgeben.
„Das Wachstumsfieber ist mir lieber als die Depression“, sagte Jospin. Das Wirtschaftswachstum wird dieses Jahr voraussichtlich bei über 3 Prozent und über dem der meisten EU-Staaten liegen. Auch wenn die Konjunkturwende sich bereits vor dem Regierungswechsel 1997 abzeichnete, stellt Jospin seine Politik gern als Auslöser des Aufschwungs dar.
Bereits 1999 hatte Frankreichs Fiskus wegen der wirtschaftlichen Erholung Steuern in zweistelliger Milliardenhöhe mehr eingenommen. Sie gingen damals in den von EU-Verträgen vorgesehenen Abbau des staatlichen Defizits. Doch für 2000 war die Haushaltssanierung politisch nicht durchsetzbar. Die Gewerkschaften, die sich lange mit ihren Forderungen zurückgehalten hatten, und die Basis der rot-rosa-grünen Regierungsparteien verlangen eine Umverteilung und einen Stopp des Personalabbaus im öffentlichen Dienst.
Jospin blieb auch deshalb nichts anderes übrig als Steuern zu senken, weil die Belastung seiner Landsleute 1999 weit über das Niveau der Nachbarländer gestiegen war. Die Einnahmen des Fiskus erreichten mit 45,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes einen Höchststand in Frankreichs Geschichte. Und Jospin musste auch an die Kommunalwahlen 2001 und die Präsidentschaftswahlen 2002 denken. Bei Letzteren wird er wohl wieder gegen Jacques Chirac antreten.
Der Vorschlag von Finanzminister Christian Sautter, das staatliche Defizit weiter zu reduzieren, wurde im Kabinett verworfen. Doch auch Jospins TV-Auftritt, in dem er die 40 Milliarden verteilte, sorgte nicht für viel Lob. Die Konservativen kritisierten erwartungsgemäß, er hätte das Defizit abbauen müssen und dass er „nach dem Gießkannenprinzip“ handele. Jospin nahm ihnen ein Hauptwahlargument: Steuersenkungen.
Doch außer Jospins Sozialistischer Partei reagierte auch die Linke skeptisch. „Gut, aber nicht sehr gut“, lautete das Urteil der meisten Franzosen. Die streikenden Lehrer reagierten enttäuscht. Eine Milliarde mehr für das Schulbudget von 300 Milliarden Franc sei ein „Tropfen auf einen heißen Stein“. Den Aufruf zu einem neuen Aktionstag am Dienstag halten die Lehrergewerkschaften auftrecht.
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