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Zeit der Prüfungen

Mehr Klarstellungs- als Debattenbedarf: Die Berliner Kulturpolitik zeichnet sich durch mangelnde Kommunikation aus. Dafür aber wuchern Gerüchte

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Gerade wollte man sich zurücklehnen und die Aufnahme der Berliner Museumsinsel in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco feiern, da holte das Berliner Haushaltsloch das Weltkulturerbe ein. Erst vor kurzem hatten Klaus-Peter Schuster, der Generaldirektor der Museen, und Klaus-Dieter Lehmann, der Stiftungspräsident, glücklich bekannt gegeben, die Sanierung der Museumsinsel in diesem Jahr starten zu können: mit 200 Millionen, die anteilig von Bund und Land bezahlt werden. Die Museen schienen als einzige Institution unangefochten von der Berliner Haushaltsmisere positive Schlagzeilen zu machen. Da mussten sie in der Presse, in einem Interview des Focus, lesen, dass die Berliner Kultursenatorin Christa Thoben in diesem Jahr nur 75 Millionen zur Verfügung stellen kann. Der Anteil des Bundes müsste laut Vertrag um die gleiche Summe gesenkt werden. 50 Millionen futsch. Die Museumsinsel stand über Nacht auf dem Trockenen.

Kaum glauben konnte dies Generaldirektor Schuster, und schockiert zeigte sich Kulturstaatsminister Michael Naumann über diesen Eingriff in einen schon verabschiedeten Haushalt. Sie trafen sich am Montagabend auf einem „Reif für die Insel?“ betitelten Forum des Tagesspiegel im Berliner Hotel Intercontinental, um über „Berlins Kulturpolitik zwischen alten Konzepten und neuen Möglichkeiten“ zu debattieren. Allein, sie schrien nicht lauter „Skandal“, weil sie das Interview nur für die halbe Wahrheit hielten. Staatssekretär Alard von Rohr, der für die erkrankte Christa Thoben eingesprungen war, beeilte sich denn auch zu erklären, Berlin wolle die fehlenden 25 Millionen aus einem europäischen Fonds beantragen. Ob man dafür alle Bedingungen erfülle, werde zur Zeit geprüft.

Zahlen verlieren in Berlin jede Glaubwürdigkeit

Also falscher Alarm? Das weiß niemand so recht. Zahlen und Beteuerungen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren in der Berliner Kulturpolitik. Die Stimmung ist angespannt und anfällig für hysterische Attacken. Die Berufung von Christa Thoben, ausgewiesen als Haushaltsexpertin, erweist sich jetzt als ein Notsignal. Noch ahnte man beim überraschenden Rücktritt des letzten Kultursenators Peter Radunski nicht, wie hoch die Defizite wirklich waren. Er war virtuos im Verdecken von Löchern. Mit Mitteln aus dem Topf des geschlossenen Metropoltheaters und der abgewickelten Kammerspiele und 60 Millionen Hauptstadtförderung des Bundes hat er das irgendwie hingebogen. Das „irgendwie“ hätte auch der Bund gerne aufgeschlüsselt, bevor er für das Jahr 2000 die auf 100 Millionen aufgestockte Hauptstadtförderung überweist. Die Verwaltung arbeitet daran.

Plötzlich scheint Kulturpolitik zur betriebswirtschaftlichen Lehrstunde herabzusinken. Das beginnt als Aufklärungsstück und endet nicht selten als Groteske. Da geht es zum Beispiel im ersten Akt um die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst. Die sind schuld, sagen die Intendanten und Geschäftsführer der Theater, dass wir mit unserem Etat nicht auskommen. Im zweiten Akt, Zuspitzung des Konflikts, erzählt Naumann von den schriftlichen Zusagen des letzten Senators an die bedrängten Theater, ihnen mit Bundesmitteln aus der Klemme zu helfen. Ohne den Bund zu informieren. Naumann erreichen diese Versprechungen jetzt. Im dritten Akt versucht Staatssekretär von Rohr eine Rechtfertigung: Hätten die Häuser realistischer kalkuliert und statt 1 Prozent Tariferhöhung 3,2 in ihren Etat eingestellt, wären die Defizite nicht so gewachsen. Vierter Akt, Auftritt Jürgen Schitthelm, Geschäftsführer der Schaubühne, die mit neuen Künstlern und neuen Stücken gerade ins kalte Wasser springt und zu den Empfängern der nun nicht eingehaltenen „Bemühenszusagen“ gehört: Nur 1 Prozent Tariferhöhung zu kalkulieren, war eine Anweisung des Landes 1995. Für den, der rechnen konnte, war seitdem das jetzige Debakel vorhersehbar.

17,6 Millionen fehlen den landeseigenen Bühnen und 70 Millionen, so wird geschätzt, im ganzen Kulturetat, dessen Volumen mit einer Milliarde angegeben wird. Wir brauchen mehr Geld, sagt der Berliner Staatssekretär, aber vergrößern könne den Etat nicht die Senatorin, nur das Parlament. Wer Hauptstadt sein will, sagt der Bund zur Stadt Berlin, muss mehr in sein einziges Kapital, die Kultur, investieren. Wer Hauptstadt haben will, sagt das Land Berlin zum Bund, muss mehr in ihr einziges Kapital, die Kultur investieren. Und so dreht sich das Karussell der Zuweisung von Verantwortung weiter.

Nur unter den Abwesenden konnte man sich auf einen Schuldigen einigen: Landesvater Eberhard Diepgen. Er blieb, die Senatoren für Kultur wechselten in seiner Regierungszeit fünfmal. „Er kann doch Thoben jetzt nicht im Regen stehen lassen“, meinte Naumann, „die Versäumnisse der letzten zehn Jahre auszubaden.“ Als verspätete Rechnung für die deutsche Einheit werden die Berliner Probleme heute beschrieben. Die Stadt hat sich an ihrem kulturellen Reichtum verhoben, weil sie Hauptstadt werden wollte und neben der Kultur wenig in die Waagschale zu werfen hatte.

Eine Zeit der Prüfungen ist angebrochen. Brüssel prüft, ob Berlin Zuschüsse für die Museumsinsel bekommt. Journalisten prüfen, in welchem Theater man Christa Thoben sah und in welchem nicht – zum Beispiel nicht in der Volksbühne, die auch mit halb garen Produktionen noch immer gut besucht und in aller Munde ist und ihre Sparauflagen erbracht hat. Umso ungerechter erscheint, dass sie jetzt keine Mittel für die Sanierung des abgenutzten Theaterbaus erhalten soll. Die Theater müssen bis zum 31. März prüfen, wen sie aus ihrem Personal wirklich brauchen. Die Verwaltung ist aufgefordert, zu prüfen, ob sie die Stellen, die wegfallen können, in einen Personalüberhangfonds zu übernehmen sind und was dadurch gespart werden könnte. Nur eine Instanz, die Tauglichkeit der Verwaltung zu prüfen, die fehlt.

Fast immer, wenn das Publikum erschaudernd auf das Wackeln der kulturellen Leuchttürme und das Schlingern der Kulturtanker starrt, steht jemand auf und sagt: Ja, aber! Die kleinen Projekte. Literaturhäuser am Rande der Selbstausbeutung. Stipendien und Künstlerförderung. Kiezkultur und innovative Projekte. Die müssen mal wieder die Rechnung zahlen, da geht der Etat in den Keller.

Der Fonds als Feuerwehrtopf für Haushaltsdefizite

Und als Antwort wird vom Kulturstaatsminister Naumann immer die Karte des Hauptstadtkulturfonds gezogen. Eigentlich sollte das ein Topf von 20 Millionen sein, die von der Hauptstadtkulturförderung für „grass roots“-Projekte reserviert werden und nicht in Institutionen mit jährlichem Etat fließen sollen. Projektanträge liegen vor, eine Jury wurde mit dem Rat der Künste eingerichtet. Doch bevor sie beginnen konnte zu arbeiten, war mindestens die Hälfte der Mittel schon gebunden: zum Beispiel für das Theatertreffen, den Umzug der Berlinale an den Potsdamer Platz, eine Anschubfinanzierung des Jüdischen Museums. So ist der Fonds zu einem Feuerwehrtopf für Defizite des Haushalts mutiert. Kein Wunder also, dass zwischen Bund und Land großer Klärungsbedarf über die Aufteilung der Mittel besteht.

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