Jim-Knopf-Löhne für die Lokführer

Hartmut Mehdorn will die Bahn zu einem ganz normalen Unternehmen machen. Also: Sparen, sparen, sparen und an die Börse gehen

von KATHARINA KOUFEN

Wenn zwei Lokführer sich streiten, fährt der Zug nicht. Wenn Bahn-Gewerkschaft (GdED) und Bahn-Vorstand sich streiten, wird ein ganzer Bahnhof still gelegt. Das droht laut GdED „einer deutschen Großstadt“ am Samstag, wenn sich die beiden Parteien im Bahn-Bündnis nicht doch noch bis morgen einigen. Dann wollen die Gewerkschafter streiken. „Wo, das sagen wir noch nicht“, sagte GdED-Sprecher Horst Kummer. Erstmals könnten nach 1992 bei einem Eisenbahner-Streik auch private Bahnkunden betroffen sein.

Bahnchef Hartmut Mehdorn will sein Unternehmen an die Börse bringen und plant deshalb eine umfassende Diät: Um 3,6 Milliarden Mark soll allein das Personalbudget bis zum Jahr 2004 abnehmen. Dazu, hat die Bahn-Gewerkschaft ausgerechnet, müssten 70.000 Stellen abgebaut werden. 35.000 Arbeitsplätze wollte schon Mehdorn-Vorgänger Johannes Ludewig streichen, mit Zustimmung der GdEG. Mehdorn beteuert nun, er wolle die Kosten über „natürliches Ausscheiden“ in den Ruhestand, über Lohn-Nullrunden, Arbeitszeitverkürzung und Streichung von Sonderzulagen einsparen.

Für die Gewerkschaften aber ist das Maß längst voll. In den letzten fünf Jahren seien bereits 120.000 Stellen gestrichen worden, und bei den Gehältern gäbe es nicht mehr viel zu kürzen. In einem Protestbrief an Bundeskanzler Gerhard Schröder rechnet Hauptvorstand Norbert Hansen vor: „Ein Facharbeiter mit Durchschnittsverdienst hat ein Bruttoeinkommen von rund 3.700 Mark im Monat. Die Arbeitszeitreduzierung würde ein Minus von 290 Mark bedeuten. Hinzu käme der Wegfall der besitzstandsichernden Zulagen in Höhe von rund 400 Mark sowie eine Lohnminderung durch Nullrunden in Höhe von etwa 270 Mark. Insgesamt wäre dies eine Lohneinbuße von 960 Mark – mehr als ein Viertel. Wie soll eine Eisenbahnerfamilie damit fertig werden?“

Die Spitzengespräche drohen nun zu scheitern, weil die Deutsche Bahn von den Arbeitnehmern verlangt, die Senkung von Personalkosten als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren. Nur dann ließen sich betriebsbedingte Kündigungen vermeiden. Andernfalls werde das „Beschäftigungsbündnis Deutsche Bahn“ für gescheitert erklärt und der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen entfalle, prophezeien führende Bahn-Manager.

Die Gewerkschaft sieht die Zukunft schwarz. Die Schuld daran gibt sie Mehdorn: „Dessen Pläne stellen die beiden tragenden Säulen der Bahnreform von 1994 in Frage: Erstens das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, und zweitens die weitere sozialverträgliche Personalentwicklung“, schreibt Hansen in seinem Brief an den „Sehr geehrten Herrn Bundeskanzler“. „Herr Mehdorn sollte seinen Ehrgeiz zurückschrauben“, meint Gewerkschaftssprecher Kummer. Bis 2004 will Bahn-Chef Mehdorn an der Börse eine Rendite von mindestens 10 Prozent erreichen. Das dürfte ihm allerdings nur gelingen, wenn er den Betriebsgewinn entscheidend verbessert – und die anvisierte Senkung der Personalkosten tatsächlich durchzieht.

Die Bahn hat eigenen Angaben zufolge 1999 erstmals seit der Bahnreform von 1994 rote Zahlen geschrieben und dabei ein Minus von 170 Millionen Mark erwirtschaftet. Wenn nichts passiere, wüchsen die Verluste in den Jahren 2000 bis 2004 auf 13,3 Milliarden Mark an, rechnet die Konzernspitze vor. Unterstützt wird Mehdorn in seinen Börsenplänen von Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD). Betriebsbedingte Kündigungen hält der aber nicht für nötig. „Wir wissen, dass die Bahn darauf achten muss, Personalkosten zu senken. Das wird nicht immer bequem sein. Das sollen die Tarifpartner miteinander aushandeln“, sagte er in einem ARD-Interview.

Hartmut Mehdorn, der erst seit Dezember 1999 im Amt ist, hat von Anfang an betont, die Bahn sei „ein Unternehmen wie jedes andere auch“, das sich rechnen müsse. Vom Bundesverkehrsminister erhofft er sich mehr als nur Verständnis für seine Pläne: „Dafür, dass der Staat unser einziger Aktionär ist, behandelt er sein Unternehmen ziemlich schlecht“, sagte er bei einem Pressegespräch in Berlin. Ein Beispiel: „Von allen europäischen Bahnen sind wir die einzigen, die den vollen Mehrwertsteuersatz zahlen.“

Um die Bahn auf Wettbewerb zu trimmen, setzt Mehdorn – wie sein Vorgänger – auf den rentablen Fernverkehr. In acht oder neun Großstädten sollen die Bahnhöfe zu tragenden Knotenpunkten des Schienennetzes werden. Zwischen diesen Städten soll in Zukunft alle halbe Stunde ein ICE fahren.

Außerhalb der Ballungszentren aber will Mehdorn das Angebot zurückfahren: 37 regionale Bahnen sollen aus der Konzern-Tochter DB-Regio ausgegliedert und von Kommunen oder privaten Unternehmen betrieben werden. Dieses Vorhaben trägt das Kürzel „Regent“, für Regionalbahnentwicklung. Lokale Träger könnten die Linien auf dem platten Land viel billiger und näher an den Bedürfnissen der Fahrgäste betreiben, begründet die Bahn ihr neuestes Projekt. Die meisten Strecken aber wurden über Jahrzehnte vernachlässigt und müssten erst einmal teuer saniert werden. Findet sich kein investitionswilliger Käufer, dann werden vielerorts Busse den Schienenverkehr ersetzen.

Auf Interregios will Mehdorn künftig ganz verzichten. Stattdessen soll ein neuer Zug die weniger befahrenen Strecken übernehmen – und von den Ländern subventioniert werden. Das ist der Clou bei der Sache.

„Ich weiß, dass es schwer wird“, schrieb Mehdorn kürzlich in einem Brief an alle Mitarbeiter. „Um Ihnen zu zeigen, dass es bei den Maßnahmen nicht darum geht, irgendwelchen Geldanlegern Dividenden zu bescheren, sichern wir Ihnen schon heute die Beteiligung am Unternehmenserfolg zu.“ Ein Trostpflaster – zumindest für die, die nicht entlassen werden.