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Der Löwe will weiterfressen

Ein Besuch bei Paraguays Nationaltorwart José Luis Chilavert: Politisch engagiert, oft verhasst und als Freistoßschütze gefürchtet. „Ich versuche immer, gegen die Mächtigen zu kämpfen.“

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Wenn Chilavert über Chilavert spricht, hört sich das so an: „Nicht Chilavert sagt, dass er der weltbeste Torhüter ist, ich bin dazu ernannt worden.“

Chilavert spricht über Chilavert in der dritten Person, als ob er nicht dabei sei. Das strahlt Überheblichkeit aus. Um seine Gegner einzuschüchtern, trug José Luis Chilavert, 34, früher immer eine Bulldogge auf dem Trikot. Das passte zu seinem Charakter. Heute hat er das nicht mehr nötig. Spätestens seit der WM in Frankreich, als Paraguay mit Nationalkeeper Chilavert in einer unvergesslichen Abwehrschlacht die Franzosen fast bezwungen hätte. „Nach der Niederlage habe ich sehr geweint“, sagt er.

Seitdem, klagt heute der 1,98-Meter-Bulle mit dem Kurzhaarschnitt, „wollen alle gegen Chilavert ein Tor machen“. Jedes Gegentor muss fürchterlich an seinem Ego kratzen. Wahrscheinlich nimmt er es dem Schützen sogar persönlich übel – der Beginn einer wunderbaren Feindschaft.

Ein Mann mit unbändigem Selbstvertrauen. Er sitzt auf dem Sofa, seine langen Arme mit den gigantischen Pranken hat er auf den Lehnen abgelegt. Ruhig und zufrieden blickt er drein, wie ein Löwe, der gerade gefressen hat: gutmütig und ausgeglichen. Wenn ihn aber jemand in seiner Ehre verletzt, kann er explodieren. Einem lästigen Journalisten hat er mal ins Gesicht gespuckt. Einen „Analphabeten und einen Ignoranten“ nannte er kürzlich den Polizeichef im Stadion, der tönte, Chilavert würde nur zur Schau spielen. Aber Chilavert macht keine Schau: Mitte März flog, zum zweiten Mal schon, von gegnerischen Rängen ein Feuerwerkskörper in seine Richtung. Diesmal explodierte er direkt neben seinem Ohr. Chilavert stürzte verletzt zu Boden, das Spiel wurde abgebrochen. „Das war ein Mordanschlag“, sagte er.

Prompt kündigte Chilavert an, nie wieder in Argentinien zu spielen. Und stand am folgenden Wochenende wieder im Tor seines Clubs Velez Sarsfield. Auch das ist Chilavert: Zuerst brüllen und es dann doch nicht so gemeint haben. Indes: „Ich würde Argentinien gerne verlassen“, sagt er. „Dass sie mich einen Affen nennen, gut, dass sie mich mit Tomaten und Orangen bewerfen, damit kann ich leben. Aber Feuerwerkskörper, das ist zu viel.“ Er zögert einen Moment, ehe er sagt: „Ich fühle mich hier nicht mehr sicher.“ Jetzt wartet Chilavert auf Angebote. Einfach dürfte es nicht sein, denn Chilavert ist der bestbezahlte Fußballer Argentiniens. Schätzungsweise 100.000 Dollar pro Monat steckt er ein.

Chilavert gehört zu der Sorte Sportler, die gerne mit dem Wort „umstritten“ betitelt werden, weil der den Mund aufmacht und selber denkt. „Ich versuche immer, gegen die Mächtigen zu kämpfen“, sagt er, und das stimmt wohl auch. Für den argentinischen Fußballverband hat er noch nie ein gutes Wort übrig gehabt und auch an keiner Regierung seines Heimatlandes je ein gutes Haar gelassen. Als sein Paraguay die Südamerika-Meisterschaft austrug, sagte er: „In meinem Land fehlt es an Schulen, an Krankenhäusern und an sozialer Gerechtigkeit. Ich glaube, ein solches Land sollte sich wichtigeren Dingen widmen als ein teures Fußballturnier auszurichten.“ Und blieb aus Protest zu Hause.

Kein Torwart auf der Welt hat so viele Tore geschossen wie der Dickkopf und Exzentriker Chilavert. 49 sind es bislang: 11 Freistöße, 38 Elfmeter. Neulich verwandelte er drei Elfmeter in einem Match. Nach jedem Training übt er zusätzlich an die 100 Freistöße, die Technik will perfektioniert sein. Aber als Torwart? „Bei meiner Größe kann ich den Ball leichter über die Mauer heben.“

Sein liebstes Freistoßtor hat er ausgerechnet gegen Argentinien verwandelt. Er hatte es schon Monate vorher angedroht. „Hurensohn Chilavert“ begrüßten ihn die argentinischen Fans im Stadion. Dann der Freistoß für Paraguay. Langsamen Schrittes verließ Chilavert sein Tor, ganz leise wurde es im Stadion. Kein Husten, kein Räuspern. Nur der Lärm der nahen Autobahn. Chilavert lief an, schoss, und es stand 1:1. Der Endstand. Und es wurde wieder deutlich: „Sie haben Respekt vor Chilavert“, sagt Chilavert.

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