Kampfschweine beziehen Stellung

Nach langem Schweigen gibt es Neues von Viva und seinem Pop-Paten Dieter Gorny. Doch Deutschlands Musiksender Nummer eins ist bald in Köln nicht mehr allein: Erzrivale MTV drängt mit drei neuen Digital-Kanälen an den Rhein

von JAN LINGEMANN

Nicht eher ruhen wollte er, als bis er eigenhändig die Lettern des milliardenschweren Mediengiganten Viacom von dessen spiegelnder Wolkenkratzerfassade hoch über dem New Yorker Times Square abmontiert hätte. Anstelle dessen sollte dann dort das blaugelbe Viva-Logo prangen. Der, der noch vor Jahresfrist so tönte, heißt Dieter Gorny und ist Erfinder und Geschäftsführer des deutschen Musikkanals. Und Viacom ist der Konzern hinter dessen Gornys LieblingsfeindMusic Television, kurz MTV.

Ob die Hybris den deutschen „Paten des Pop“ gepackt hatte oder doch genuin westfälischer Humor des ehemaligen Musikpädagogen aus Soest am Werke war – nach Grimme-Preis, politischen Weihen als Bundes-Pop-Beauftragter und nicht zuletzt dem Erreichen der Marktführerschaft im deutschen Musikfernsehen waren neue Ziele gefragt, der Mann muss sich schließlich motivieren. Fortan wurde die globale Markenexpansion als konsequenter Schritt propagiert: Das „Gefühl Viva“, entworfen als ganzheitliche Lebenswelt rund um die beiden TV-Kanäle, sollte möglichst schnell auch international spürbar werden.

Integrierter Medienkonzern

Außerdem wollte Gorny raus aus der Sparte Musikfernsehen, ein „integrierter Medienkonzern“ sollte aus dem Clip-Sender werden, der seine starke Marke durch die gesamte mediale Wertschöpfungkette schleust. Doch für den Rest des Jahres war plötzlich Ruhe im Karton, das medienökonomische Modellprojekt schien ins Schlingern zu geraten: Die mit dem Warenhauskonzern Kaufhof geplante Kette von Viva-Cafés fand nicht statt, auch das Lifestyle-Magazin Comet von Viva und Bauer-Verlag (u. a. Bravo) wurde sang- und klanglos wieder eingestellt.

Erst seit Beginn des neuen Jahrtausends scheint Gorny wieder halbwegs auf Kurs, das Hauptquartier von Viacom-Chef Sumner Redstone neu zu beschriften. Doch führt der Weg nach New York zunächst über Warschau und Zürich. Nach langem Schweigen wurde im Februar der Start von Viva Polen verkündet, Anfang März folgte das Engagement in der Schweiz, wo Viva Anteile des erfolgreichen Musikkanals Swizz Music Television übernahm. Und das ist, laut Gorny, natürlich wieder einmal erst der Anfang: Mittelfristig will Viva in allen wesentlichen europäischen Ländern mit nationalen Programmen vertreten sein. Das nötige Kapital zur Viva-Expansion soll der Börsengang bringen, der in der zweiten Jahreshälfte geplant ist.

Und auch am neuen Markt, dem nicht ganz so feinen Börsenparkett, dürfte Viva seine Zielgruppe finden. Zwar wachsen die Werbeeinnahmen des Sender-Duos nicht mehr so explosiv wie in den vergangenen Jahren, im Vergleich zum gesamten TV-Markt jedoch immer noch überdurchschnittlich. Zudem schreibt Viva schwarze Zahlen und ist damit noch immer eine Ausnahmeerscheinung auf dem deutschen TV-Markt.

Und auch Gorny selbst scheint den neuen Verhältnissen Rechnung zu tragen: Seiner langen Mähne und ein paar Pfunde entledigt, wurde aus der neobarocken Erscheinung des sozialdemokratischen Musikfunktionärs zumindest äußerlich schon mal der Chief Executive eines globalen, integrierten Medienkonzerns in Gründung.

Die standortfixierte nordrhein-westfälische Medienpolitik hilft dabei kräftig mit, schließlich hat Gorny der NRW-SPD als loyaler Pop-Berater stest treu gedient: Fördergelder flossen schon für seine früheren Unternehmungen, z. B. das Wuppertaler „Rockbüro NRW“, reichlich.

„Mafiöses Netwerk“

Die internationale Musikmesse „PopKomm“, 1989 von Gorny aus der Taufe gehoben, erhielt allein in den ersten vier Jahren ihres Bestehens knapp 5 Millionen Mark an Subventionen. Das zur MusiKomm GmbH expandierte Unternehmen veranstaltet heute diverse Medien-Kongresse („Komm“, „mecon“) und hält Beteiligungen an verschiedenen halböffentlichen Veranstaltungsagenturen. Als schlicht mafiös bezeichnen Gornys Konkurrenten dieses informelle Netzwerk in Köln und anderswo.

Doch nun droht ökonomischer Pragmatismus zunehmend das Ideal einer sozialdemokratisch inspirierten Medienreflexion zu verdrängen. Vermochte Gornys poptheoretischer Singsang die empfangsbereite Fortschrittsfraktion der NRW-Regenten zu beeindrucken, heißt die neue Zielgruppe jetzt Investoren und Analysten – aber die reagieren bekanntlich auf andere Schlüsselreize.

Und natürlich auf das Buzzword Internet: Kein zukunftsfähiger Medienkonzern ohne massive Präsenz im Netz der Netze. Gemeinsam mit dem Bertelsmann-Unternehmen Pixelpark entwickelt Viva daher eine nagelneue Internet-Plattform, die bei „hohem Spaßfaktor“ die ganze Viva-Kompetenz im Netz abbilden soll.

Allerdings wird das neue Angebot bestenfalls zur PopKomm fertig. Auf dem Bildschirm probt Viva derzeit die Erhöhung des Wortanteils im Programm – mit der exklusiven Ausstrahlung der Serie „SClub 7“. Die 30-minütige Soap von Spice-Girl-Produzent Simon Fuller sorgte bereits bei der englischen BBC für Marktanteile von rund 50 Prozent bei den unter 15-Jährigen. Und nachdem beim Senderduo jahrelang alle redaktionell aufwendigeren Formate durch Videostrecken ersetzt wurden, gibt ist seit diesem Monat auch wieder ein HipHop-Magazin, „Mixery Raw Deluxe“. Auch Viva 2 ist nach dem Relaunch 1998 mit neuen Programmformaten weiterhin auf Kurs in die Gefilde jenseits des musikalischen Mainstream. Als „Kampfschwein“ (Gorny) an der Credibility-Front gegen MTV in Anschlag gebracht, erfüllt der „TV-Sender für Musikfans ab 18“ seineFunktion als „Speerspitze im Markt der Ultra-Consumer`“(Gorny).

Kosten darf der Spaß jedoch nichts. Zwar wurden die Viva 2-Verluste 1999 auf schlappe 4,5 Millionen Mark halbiert, doch der geplante Börsengang wirft seine Schatten voraus: Die jüngste Programmoffensive ist definitiv Low Budget – mit entsprechend gemischten Ergebnissen. Während das Cutting-Edge-Format „2 Step“, ein Langstrecken-Clip von jeweils einem VJ und DJ, dem Medium (s)eine Identität zurückgibt, mag man auf den verqueren Humor-Diskurs, den die Puppen-Comedy-Show „Zwobot“ befruchtet, gar nicht erst einsteigen.

MTV kommt auch nach Köln

Viacom-Chef Sumner Redstone (Konzernumsatz 1998: 33 Milliarden Mark) werden so kaum graue Haare wachsen. Und auch wenn die Viacom-Tochter MTV in Deutschland Marktführerschaft und Novelty-Bonus an Viva bzw. Viva 2 verlor, garantierte dessen internationale Markenstärke stets anhaltende Rekorderlöse. In Deutschland ließ sich Redstone übrigens kürzlich von den Länderchefs Clement (NRW) und Stoiber (Bayern) hofieren. Konkret wurde darüber verhandelt, wo die drei geplanten digitalen MTV-Spartenkanäle ihr Domizil aufschlagen. Voraussichtliches Ergebnis: Köln, und das mag durchaus als Indiz für raue Zeiten gelten. Denn bislang war es Gorny immer noch gelungen, den Konkurrenten nicht zuletzt durch seine sozialdemokratischen Seilschaften standortpolitisch auf Distanz zu halten. Jetzt ist er da: „Was ist denn schon Viva?“, fragte Redstone im Februar angriffslustig vor deutschen Journalisten.