piwik no script img

Zu starker Tobak

„Ich wollte nicht als toter Sozialist enden“: Zum Tode des Cockney-Punkrappers Ian Dury

Von RALF SOTSCHECK

„Ich liebe Worte“, sagte Ian Dury vor knapp zwei Jahren, „kraftvolle Worte. Ich kann ganz gut mit ihnen umgehen.“ Damals sollte er eigentlich schon tot sein, denn ein Arzt hatte bei ihm 1996 Darm- und Leberkrebs diagnostiziert und ihm noch sechs Monate gegeben. Im September 1998 verkündete Bob Geldof von den Boomtown Rats Durys Tod im Radio XFM. „Zum Glück hört diesen Sender niemand“, sagte Dury danach. Vorgestern ist der Musiker, Schauspieler, Maler und Synchronsprecher Ian Dury im Alter von 57 Jahren gestorben.

Ein Punker war er nicht, aber mit seiner Mischung aus Rhythm and Blues, Swing, Country und keltischer Folklore beeinflusste er die Punk-Szene in den Siebzigerjahren. Er hat fast bis zum Schluss gearbeitet, obwohl er seit ein paar Monaten am Chemotherapie-Tropf hing. Er wollte gegen die Tabus angehen, die die Krankheit umgeben. Seine erste Frau Betty und eine Reihe seiner Freunde sind auch an Krebs gestorben.

Vor kurzem war er noch mit Madness aufgetreten, bereits spindeldürr und von der Krankheit gezeichnet. Er sei „eher ein Dichter als ein Rock 'n’ Roll-Künstler“ gewesen, sagte Madness-Sänger Suggs gestern. „Er hat all denjenigen, die nicht wie Rockstars aussehen, die Möglichkeiten aufgezeigt.“

Nein, wie ein Rockstar sah er nicht aus. Dury, ein winziger Mann mit zu großem Kopf, kam 1942 in Nord-London auf die Welt, „gezeugt hinter dem Ritz und geboren beim Blitz“, der Bombardierung von London, wie er sagte. Als er sieben war, erkrankte er an Kinderlähmung und musste seitdem am Stock gehen. Er glaubt, dass er sich in einem Schwimmbad in Southend angesteckt hat. „In jenem August gab es dort neun Fälle“, sagte er. „Ich lag sechs Wochen auf der Isolierstation in Truro, weil ich ansteckend war. Ich hatte beide Beine und beide Arme in Gips. Die Ärzte sagten, ich würde sterben, aber nach sechs Monaten im Krankenhaus von Cornwall ging es bergauf. Sie brachten mich auf einer Bahre nach Essex zurück.“ Dury engagierte sich später in der Kampagne für Impfung gegen Kinderlähmung und ging nach Sri Lanka, mitten ins Kriegsgebiet, um die Botschaft zu verbreiten. „Eigentlich bin ich gegen private Krankenversorgung, denn ich bin Sozialist“, sagte er, „aber ich will nicht ewig auf Wartelisten stehen und als toter Sozialist enden.“

Sein Lied „Spasticus Autisticus“, in dem er die Krankheit eindringlich schilderte, war für die Radiosender zu starker Tobak, es wurde nie gespielt. Sein berühmtester Song, „Sex And Drugs And Rock 'n’ Roll“, wurde dagegen 1987 in der Aids-Kampagne eingesetzt. „Zwei der Sachen sind einfach zu gefährlich geworden“, sagte Dury.

Ian Durys Durchbruch kam Ende der 70er mit den Blockheads, die so hießen, weil Dury seine Musiker bei einer Probe als „Klotzköpfe“ beschimpfte. Das Album „New Boots And Panties“ wurde zu einem Meilenstein des britischen Rock, fast zwei Jahre lang hielt es sich in den Charts. Es folgten Hits wie „Hit Me With Your Rhythm Stick“ und „Reasons To Be Cheerful (Part 3)“, wahrscheinlich die erste britische Rap-Scheibe. Dury wählte einprägsame Titel, so dass man sich auch später an die Stücke erinnern würde. Das zweite Album der Blockheads, „Do It Yourself“, schaffte es auf den zweiten Platz der Charts, doch danach trennte er sich von seinem Songwriter-Partner Chaz Jankel, und das merkte man den folgenden Platten an. Trotzdem: Dury erteilte Andrew Lloyd Webber eine Absage, als der fragte, ob er an seinem Musical „Cats“ mitarbeiten wolle, und schrieb lieber selbst eines. Doch „Apples“ war kein Erfolg.

Ende der Neunzigerjahre war er plötzlich wieder da. „Mr. Love Pants“, eine seiner besten Scheiben, enthielt endlich wieder neues Material. Warum hat es so lange gedauert? „Weil ich schlecht bin. Für jeden guten Song schreibe ich 20 schlechte, die ich wegschmeißen muss. Ich bin eben kein Musiker.“

Sein breiter Cockney-Akzent, für den er berühmt war, hatte eher mit Showbusiness als mit seiner Herkunft zu tun. Seine Mutter war eine vornehme Akademikerin, sein Vater Chauffeur eines Gummi-Millionärs in der Schweiz, wo die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg ein paar Jahre verbrachte. „Ich bin ein Mockney“, sagte Dury, „meine Mutter sprach wunderschön, mein Vater nicht.“ Die Eltern trennten sich, als Dury drei Jahre alt war, er zog mit seiner Mutter zur Tante nach Upminster.

Dury erzählte einmal, wie er zu seinem Cockney-Akzent gekommen war: „Wir hatten eine Demo-Aufnahme von ‚Wake Up And Make Love With Me‘ gemacht, es war kein Liebeslied, sondern ein Lustlied. Ich sang es mit amerikanischem Akzent. Wir spielten es dem Manager Charlie Gillett vor. Der stöhnte und fragte, was dieses Barry-White-Getue solle? Ich war entsetzt und beleidigt, aber dann sah ich ein, dass er Recht hatte. Von da an sang ich auf Englisch.“

Als ihm die Musik zu anstrengend war, wandte sich Dury, der sieben Jahre an der Kunsthochschule in Walthansow studiert hatte, stärker der Schauspielerei zu. Er hatte Rollen in Roman Polanskis „Piraten“ und in Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, er spielte neben Bob Dylan, Bob Hoskins, Omar Sharif und Walter Matthau, dem er in den Drehpausen Cockney-Ausdrücke beigebracht haben soll.

Dass er bekannt war, passte ihm nicht: „Man erkennt mich nur, weil ich hinke, und nicht wegen meines Gesichts oder so. Paul McCartney hat mal gesagt, dass er schnell weglaufe, wenn jemand ihn in Soho erkenne. Wenn ich schnell weglaufe, falle ich hin.“ Einem US-amerikanischen Reporter, der ihn fragte, wie man sich seiner erinnern soll, antwortete er: „Man soll sich nicht an mich erinnern. Ich bin nur auf Zeit hier. Ich will keine nationale Institution werden, vielen Dank.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen