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In Haiti brennen die Geschäfte

Bei Ausschreitungen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince sind in dieser Woche vier Menschen getötet worden. Mit Gewalt wollen Anhänger des Ex-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide die Verschiebung der geplanten Parlamentswahlen erreichen

von THOMAS SCHMID

Brennende Barrikaden, verwüstete Märkte, niedergebrannte Geschäfte, mindestens vier Tote. Seit drei Tagen herrscht Aufruhr in Port-au-Prince, der Hauptstadt des bitterarmen Karibikstaates Haiti. Angefangen hatte alles am Montag. Anhänger des früheren Armenpriesters und Ex-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide waren gegen die hohen Lebenshaltungskosten auf die Straße gegangen. Am Rande der Demonstration wurde Jean Samedi, Boss einer Straßengang, die mit Aristide sympathisiert, mit einer Machete getötet. Freunde des Toten lynchten kurz danach einen Anhänger einer rivalisierenden Bande, den sie beschuldigten, Samedi umgebracht zu haben. Reifen wurden angezündet, Straßen blockiert.

Am Dienstag brannten hunderte von kleinen Läden auf dem zentralen Markt der Stadt. Am Mittwoch ging ein Supermarkt in Flammen auf. Wer mit dem Auto unterwegs war, riskierte zerbrochene Scheiben und zerstochene Reifen. Die Demonstranten, offensichtlich Anhänger von Aristide, forderten die Auflösung des Provisorischen Wahlrats und die Verschiebung der Parlamentswahlen auf Dezember.

Im Januar vergangenen Jahres hatte Haitis Präsident René Preval das Parlament aufgelöst und zwei Monate später Jacques Edouard Alexis als Premierminister eingesetzt. Kein Parlament hat den Regierungschef je bestätigt oder gar kontrolliert. Dreimal wurden die Parlamentswahlen verschoben. Kurz bevor sie am 19. März stattfinden sollten, wurde festgestellt, dass viele Wähler noch nicht registriert waren. Also setzte der Provisorische Wahlrat, offenbar ohne den Präsidenten zu konsultieren, ein neues Datum für den Urnengang: den 9. April. Nun weigert sich Preval, ein Dekret zur Durchführung der Wahlen zu erlassen, so wie es die Verfassung vorsieht.

Die Opposition, die sich im Wesentlichen aus Parteien zusammensetzt, die einst Aristide unterstützt, sich aber später von ihm getrennt haben, will die Wahlen jetzt durchführen, das Aristide-Lager hingegen erst im Dezember, zusammen mit den Präsidentschaftswahlen, bei denen bisher kein ernsthafter Konkurrent zu Aristide in Sicht ist. Mit Aristide als Zugpferd, so das Kalkül, könnten dann auch die Parlamentswahlen gewonnen werden. Als der Armenpriester Aristide am 7. Februar 1991 seinen Amtseid als Präsident ablegte, erschien er vielen Haitianern nach 35 Jahren Diktatur als ein Messias, der sie aus dem Elend herausführen würde. Doch nach gerade mal sieben Monaten im Amt wurde der erste in freien Wahlen bestimmte Präsident von der Macht geputscht. Nur mit Hilfe einer US-Intervention konnte er 1994 sein Amt wieder einnehmen.

Unter den verarmten Massen in den Elendsvierteln der Hauptstadt und auf dem Land hat Aristide auch heute noch viele Anhänger. Doch von der alten Hoffnung ist nichts mehr zu spüren. Das einzige, was die Menschen noch zu interessieren scheint, ist die öffentliche Sicherheit. Hatte man früher Angst vor marodierenden Soldaten und den Tontons macoutes, der Privatpolizei der Duvalier-Diktatur, so sind heute nach Einbruch der Dunkelheit die Straßen leer, weil Räuber und bewaffnete Banden die Stadt unsicher machen.

Und in gewisser Weise ist auch die politische Gewalt zurückgekehrt. Im vergangenen Jahr traten immer offener Banden aus den Armenvierteln auf, die sich „Chimären“ nennen und für Aristides Rückkehr an die Macht mobil machen. In der griechischen Mythologie sind Chimären schnaubende Ungeheuer. Im Kreolischen, der Landessprache Haitis, heißt „m’an chimè“ so viel wie „ich bin stinksauer“. Die Chimären von Port-au-Prince verbreiteten vergangenes Jahr Angst und Terror und zerschlugen unliebsame Demonstrationen. Sie führten immer Aristide-Poster mit und bekannten sich offen zum Ex-Präsidenten, der sich seinerseits nie öffentlich von ihnen distanzierte.

Anfang des neuen Jahres beruhigte sich die Lage. Doch die Ereignisse dieser Tage erinnern an die Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr. Gewalttätige Demonstranten geben sich offen als Anhänger Aristides zu erkennen und fordern ganz in dessen Interesse die Auflösung des Provisorischen Wahlrats und die Verschiebung der Wahlen.

Schon hat die Opposition die Bewohner der Hauptstadt aufgerufen, „Selbstverteidigungsbrigaden“ zu bilden, um sich gegen den Terror aus dem Aristide-Lager zu wehren. Am Montag wurde der Leiter eines Wahllokals erschossen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Präsident in den nächsten Tagen offiziell feststellt, dass die Sicherheitslage die Durchführung fairer Wahlen nicht zulässt.

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