: Die Ossis wurden nicht gefragt
Regierung Kohl beschloss 1990, Stasi-Akten über West-Politiker verschwinden zu lassen. Ex-DDR-Innenminister Diestel: „Bin nie gefragt worden.“ Der CDU-Politiker hegte schon damals „Zweifel an der Loyalität“ seiner westlichen Kollegen
von LUKAS WALLRAFF
Gestern kam die Bestätigung: Nach der Wende in der DDR hat die Regierung unter Helmut Kohl die Vernichtung von Stasi-Abhörprotokollen westlicher Politiker beschlossen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte gestern mit, einen entsprechenden Beschluss habe das Kabinett 1990 gefasst. Anlass seien Medienberichte vom Mai 1990 gewesen, in denen aus Stasi-Akten zitiert worden war.Die damals zuständigen Politiker aus Ost und West hatten bestritten, belastende Unterlagen beiseite geschafft zu haben.
So bezeichnete Berlins Innensenator Eckart Werthebach einen Bericht der Berliner Zeitung als „Unsinn“, er sei als Mitarbeiter des Innenministeriums an der Vernichtung des Materials beteiligt gewesen. Der ehemalige DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel sagte, wenn es vor Oktober 1990 zu Aktenvernichtungen gekommen sei, sei dies ohne sein Wissen geschehen. Er habe jedoch von Anfang an „Zweifel an der Loyalität“ seiner West-Kollegen gehabt.
Diestel, der heute als Rechtsanwalt in Potsdam arbeitet, bestritt, die Unterlagen seien mit seiner Duldung aus dem Stasi-Archiv ausgesondert und an das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz weitergegeben worden. „Das ist erlogen und erstunken“, sagte Diestel gestern zur taz. „Wenn es das gegeben hat, hatte ich keine Kenntnis davon.“ Der CDU-Politiker will „zivil- und presserechtlich“ gegen die Behauptungen vorgehen.
Die Herausgabe einzelner Stasi-Akten hätte dem bis Oktober 1990 geltenden DDR-Recht widersprochen. Daran will sich Diestel gehalten haben. Lediglich bei der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung habe es Ausnahmen gegeben. Nur in diesem Zusammenhang habe er mit seinem BRD-Kollegen Schäuble und Werthebach zusammengearbeitet. „Alles andere darüber Hinausgehende hat es nicht gegeben“, sagte Diestel.
Wegen seiner Zweifel an der Loyalität der westlichen Kollegen habe er versucht, Schäuble und Werthebach von den Akten des Stasi-Archivs „fernzuhalten“. „Ich habe gewusst, wes Geistes Kind die sind“, sagte Diestel gestern, „ich wusste, dass die andere Interessen verfolgen.“
Diestels Äußerungen zeugen von dem tiefen Misstrauen, das zwischen den Parteifreunden aus Ost und West geherrscht haben muss. Wenn seine Darstellung stimmt, hat die Bonner Regierung ihn einfach übergangen. Da es 1990 die Gauck-Behörde noch nicht gab, war Diestel für das Stasi-Archiv zuständig. Eine Herausgabe von einzelnen Dokumenten hätte er abgelehnt: „Ich hätte ein striktes Nein gesagt“, sagte Diestel, „bin aber nie gefragt worden.“ Sollte das westdeutsche Innenministerium an ihm vorbei die Vernichtung von Akten veranlasst haben, sagte Diestel gestern, „wäre dies mit einer hohen Bereitschaft zum Rechtsbruch geschehen und in höchstem Maße illoyal gewesen“.
Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verwendung von Stasi-Akten bei der Aufklärung des CDU-Spendenskandals sprach Diestel von einer „Verlogenheit im Umgang mit den Stasi-Materialien“. Es dürfe nicht sein, dass westliche Politiker jetzt geschützt werden. Bei ostdeutschen Politikern – unter anderem ihm selbst – habe man auch keine Rücksicht genommen.
SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte gestern, Anfang der 90er-Jahre seien „alle Parteien“ übereingekommen, die mit illegalen Mitteln erworbenen Informationen der Stasi nicht anderen zur Verfügung zu stellen. „Nach meinen Informationen sind Akten vernichtet worden.“ Struck sprach sich gegen die Nutzung von Stasi-Akten für den Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der CDU-Spendenaffäre aus. Es bleibe bei der Einigung aller Parteien darauf, dass die von der Staatssicherheit gesammelten Daten nicht zur Verfügung gestellt werden, sagte Struck.
Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) verwies in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung der DDR-Volkskammer, wonach die Akten aufbewahrt und zur Aufarbeitung der Vergangenheit genutzt werden sollten. Damit meine er auch die gesamtdeutsche Vergangenheit.
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