Naturblei in Marmelade

EU-Gerichtshof entscheidet: Marmelade mit Pestizidrückständen und Schwermetallen ist „naturrein“. Vorkommen von Blei und Pestiziden in der Natur ist mittlerweile natürlich

von DANIELA WEINGÄRTNER

Seit gestern ist der kleine Kölner „Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe“ auch in Brüssel ein Begriff. Er kann sich zugute halten, einer österreichischen Marmelade zu zweifelhafter Berühmtheit verholfen zu haben. Ursprünglich hatte der Verein vor dem Kölner Landgericht dagegen geklagt, dass die österreichische Firma Darbo ihre Marmelade der Bezeichnung „Garten Erdbeer“ unter demLabel „d'arbo naturrein“ vertreibt. Denn dieser Brotaufstrich – das steht auch deutlich auf dem Etikett – enthält das Geliermittel Pektin.

Pektin, so argumentierte der Verein, sei ein Zusatzstoff, den der Verbraucher in einer Konfitüre mit dem Label „naturrein“ nicht erwarte. Er ließ die Marmelade von einem Lebensmittellabor untersuchen. Das stieß auf weitere, weitaus unappetitlichere Zusatzstoffe: 0,01 Milligramm Blei pro Kilo Marmelade,0.008 Milligramm Cadmium und 0,021 Milligramm Pestizide pro Kilo Brotaufstrich.

In Kenntnis dieser köstlichen Rezeptur wies das Landgericht Köln die Klage der Verbraucherschützer ab. Die Berufungsinstanz, das Oberlandesgericht Köln, setzte das Verfahren aus und ließ vom Europäischen Gerichtshof die Frage klären, „ob die Etikettierungsrichtlinie 79/112/EWG der Verwendung der Angabe ,naturrein‘ für eine Erdbeerkonfitüre entgegensteht, die das Geliermittel Pektin sowie Blei-, Cadmium- und Pestizidspuren enthält.“

Klare Antwort des EuGH: nein.

Schließlich sei das kritisierte Pektin auf dem Etikett angegeben, wie es die Europäische Richtlinie vorschreibt. Jeder Verbraucher könne das Zutatenverzeichnis lesen und seine Kaufentscheidung davon abhängig machen. Was nun den keineswegs auf dem Etikett angegebenen Blei-, Cadmium- und Pestizidcocktail angeht, warteten die Richter mit einer Begründung auf, die in ihrer Eulenspiegel-Logik verblüfft:

„Die Rückstände von Blei, Cadmium und Pestiziden stellen keine Zutaten zum Lebensmittel dar; ihre Angabe ist daher nicht obligatorisch. Infolge der Verschmutzung von Luft und Wasser sind insbesondere Blei und Cadmium in der natürlichen Umwelt vorhanden. Da Gartenfrüchte in der natürlichen Umwelt angebaut werden, sind sie zwangsläufig den dort vorhandenen Schadstoffen ausgesetzt. Selbst wenn in Einzelfällen Verbraucher diese Tatsachen nicht beachten und somit irregeführt werden sollten, ist diese Gefahr gering und kann deshalb ein Hemmnis für den freien Warenverkehr nicht rechtfertigen.“

Zu hoffen ist, dass die Marke „d'arbo naturrein“ infolge dieser Entscheidung eine Berühmtheit erlangt, die ihren freien Verkehr mittelfristig vielleicht dadurch hemmt, dass sie keine Abnehmer mehr findet. Der Europäische Verbraucherverband in Brüssel musste jedenfalls in einer ersten verblüfften Stellungnahme bekennen, noch nie von dem Vorgang gehört zu haben. Er sei aber bezeichnend dafür, dass die EU-Etikettierungsrichtlinie keine optimale Verbraucherinformation gewährleiste.

Tatsächlich hat der EuGH den schwarzen Peter an die nationalen Gerichte zurückgegeben. Nur sie könnten entscheiden, ob eine Bezeichnung, eine Marke oder eine Werbung irreführend sei, wenn man „die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ zugrunde lege. Tatsächlich liegen die in der Marmelade gemessenen Rückstände weit unter den in Deutschland zulässigen Höchstwerten. Trotzdem ist davon auszugehen, dass der verständige Verbraucher nicht an Blei und Cadmium denkt, wenn er in sein Frühstücksbrötchen beißt.