: Wie halte ich ein Kanzlerwort?
So sorgen Sie dafür, dass die großen Klimaversprechen der Kanzler Kohl und Schröder doch noch eingehalten werden
von BERNHARD PÖTTER
Die Probleme sind seit langem bekannt, die Lösungen auch. Doch bisher hat in Deutschland mit dem Klimaschutz niemand ernst gemacht. Das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung, die CO 2 -Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zu senken, droht zu scheitern. Dabei könnte alles so einfach sein. Stellen Sie sich vor, Sie wären Kanzler. Dann könnten Sie in zehn Schritten den Ruf Deutschlands als Musterknabe in Sachen Klimaschutz retten.
1 Machen Sie Klimaschutz zur Chefsache
So wie Ihr Kollege Schröder: Bei der Eröffnung der UN-Klimakonferenz in Bonn am 25. Oktober 1999 erklärte der Kanzler: „Wir stehen zu dem Ziel von 25 Prozent und natürlich auch zu unserer Verpflichtung, die wir innerhalb der EU übernommen haben.“ Mitte 2000, versprach Schröder, werde die Bundesregierung eine „nationale Minderungsstrategie für Treibhausgase“ vorlegen, um „die notwendigen weiteren Maßnahmen festzulegen“. Damit geben Sie Ihrem Umweltministerium ein gutes Argument im Tauziehen um den Klimaschutz: „Der Kanzler hat es versprochen!“
2 Ziehen Sie Zwischenbilanz
Lassen Sie sich von Anfangserfolgen nicht täuschen: Von den versprochenen 25 Prozent sind bisher nach Angaben des Umweltministeriums 15,5 Prozent erbracht worden – doch da zählt der Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft zu. Inzwischen verweist die Industrie stolz auf 31 Prozent Minderung, die Energiewirtschaft zeigt minus 16 Prozent vor. Aber achten Sie genau auf die privaten Haushalte und den Verkehr. Ungedämmte Häuschen und Plattenbauten, alte Mixer und Kühltruhen trieben die Triebhausbilanz der Haushalte um sechs Prozent nach oben. Im Verkehr stiegen die Emissionen sogar um elf Prozent gegenüber 1990, sagt Franzjosef Schafhausen, Leiter des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung. Das verhagelt Ihnen die Bilanz.
3 Klären Sie, wie weit das Ziel noch entfernt ist
Mehr als ein Drittel, 9,5 Prozent,des Gesamtpakets fehlt noch. Dabei haben Sie als rot-grüner Kanzler den richtigen Weg eingeschlagen: Ökosteuer, Schwerverkehrsabgabe, Energieeinspargesetz und Förderung regenerativer Energieformen. In Ihrem Umweltministerium rechnet man nun so: zwei Prozent CO2-Reduktion bringt die Stromsteuer; nochmal zwei Prozent die anstehende Energieeinspar-Verordnung. Und Potenzial für weitere zehn Prozent sieht Ihr Mitarbeiter Schafhausen bei den privaten Haushalten. Doch das nützt Ihnen alles nichts: Billiger Strom verdirbt die Lust am Energiesparen. Und vor allem: Der Verkehr ist „Gift für nachhaltige Politik“, sagt Schafhausen.
4 Beschweren Sie sich nicht über Gutachten, sondern nehmen Sie sie ernst
Sie waren gewarnt: Der Rat der Sachverständigen in Umweltfragen hat moniert, das Land sei „nicht auf einem Reduktionspfad, der die Zielerreichung bis 2005 ermöglichen könnte“. Und laut der Studie „Politikszenarien für den Klimaschutz II“, die bei Ihnen auf dem Schreibtisch liegt, läuft die augenblickliche Situation „den klimaschutzpolitischen Zielen der Bundesregierung erheblich entgegen. Insoweit ist eine deutliche Zielverfehlung zu konstatieren“. Wenn alles so weitergeht, erreicht Deutschland gerade 14 Prozent Reduzierung. Das sei nur zu vermeiden, „wenn es unverzüglich zur Umsetzung einer wirksamen Klimaschutzpolitik kommt“.
5 Geben Sie der Wirtschaft Anreize Energie zu sparen
Die „Interministerielle Arbeitsgruppe CO2-Reduktion“ diskutiert für Sie die wichtigsten Instrumente: Für die Industrie sind dies öffentliche Hilfen für effizientere Produktion und den „grünen Kapitalmarkt“, die Förderung von Energiespardiensten und eine Energiesparverordnung, die auch für Fabriken gilt. Für die Energiewirtschaft ist es wichtig, verstärkt auf die extrem effiziente Gas- und Dampf-Technik der Gaskraftwerke zu setzen. Auch können Sie veranlassen, dass verstärkt Müll in Kraftwerken verbrannt wird und regenerative Energien weiter ausgebaut werden.
6 Helfen Sie Privathaushalten
Gewähren Sie mehr Zuschüsse für die Wärmedämmung von Altbauten und für neue effiziente Heiztechniken (Brennwertkessel). Erlassen Sie eine neue Energiesparverordnung und Mindeststandards für stromfressende Videorecorder, Lampen und Mixer.
7 Seien Sie beim motorisierten Verkehr kompromisslos
Springen Sie über Ihren Schatten als Autokanzler: Sorgen Sie für Straßenbenutzungsgebühren, höhere Mineralölsteuern, Grenzwerte für Spritverbrauch und den CO2-Ausstoß der Autobauer und ein Tempolimit für Autobahnen und Landstraßen.
8 Bringen Sie Ihre Bevölkerung hinter sich. Sie haben gute Argumente
Es geht nicht um eine abstrakte Verpflichtung, sondern um die globalen Lebensbedingungen. Der Gehalt an Kohlendioxid in der Luft steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an, das „Treibhaus Erde“ heizt sich langsam aber sicher auf. Die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl seit der industriellen Revolution beschleunigt die möglicherweise natürliche Tendenz zur Erwärmung. Sie wissen, was das bedeutet: Abschmelzen der Polkappen und Gletscher, Anstieg der Meerespegel, Stürme, Unwetter. Der Lebensraum von Millionen Menschen ist bedroht. Das Gegenteil dessen, was sich Ihre rot-grüne Regierung unter „nachhaltiger Entwicklung“ vorstellt.
9 Treiben Sie den Teufel Treibhausgas nicht mit dem Beelzebub Atomkraft aus
Seien Sie clever! Um sich nicht von der Atomwirtschaft vorhalten zu lassen, die „saubere“ Atomenergie zu missachten, geben Sie ein weiteres Gutachten in Auftrag. Ganz in Ihrem Sinne argumentiert etwa die bislang unveröffentlichte Studie des Wuppertal-Instituts über eine „Bewertung des Ausstiegs aus der Kernenergie aus klimapolitischer Sicht“: Gerade der Atomausstieg helfe, die Strukturen der Energieversorung hin zu einer Klima schonenden und effizienten Energieversorgung aufzubauen. Innerhalb von 20 Jahren sei ein CO2-neutraler Ausstieg aus der Atomkraft machbar.
10 Seien Sie konsequent bei der Umsetzung als richtig erkannter Vorschläge
Dabei legen Sie sich mit vielen Lobbygruppen an. Aber wenn jemand ein klimapolitisches Paket aus staatlichen Hilfen, gesetzlichen Vorgaben und öffentlichem Bewusstsein schnüren kann, dann doch wohl Sie. Wenn nicht, dann sitzen Sie in der Zwickmühle. Hier das schwer erreichbare Klimaziel, dort das Kanzlerwort.
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