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Was ist Daseinsvorsorge?

EU-Kommissar Monti klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die deutschen Milliardenhilfen für die WestLB. Dessen Entscheidung könnte viele Dienstleistungen berühren

aus BrüsselDANIELA WEINGÄRTNER

EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti hat sich von den Besuchen deutscher Ministerpräsidenten in Brüssel nicht beeindrucken lassen. Am Dienstagabend entschied er, die Bundesrepublik Deutschland in Sachen WestLB vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.

In den vergangenen Wochen hatten sich Stoiber, Clement und Co bei der EU die Klinke in die Hand gegeben, um ihren Standpunkt klar zu machen: Öffentlich-rechtliche Körperschaften wie Sparkassen, Fernsehanstalten, kommunale Stadtwerke dienten der „Daseinsvorsorge“ und dürften daher nicht den rauen Regeln des freien Binnenmarktes ausgesetzt sein.

„Daseinsvorsorge“ – der Begriff ist dabei, sich zum Euro-Wort des Jahres zu mausern. Mit ihm ist weder das Ersparte in Omas Küchenschrank gemeint noch die private Zusatzrente. Es geht vielmehr um Dienstleistungen, die der Gemeinschaft von öffentlichen Einrichtungen flächendeckend und günstig zur Verfügung gestellt werden: Konten für Kleinstsparer, Bustransport bis ins hinterste Dorf, Thomas Gottschalk für alle.

Die Beispiele zeigen bereits, wie schwierig es ist, den Kernbereich staatlich finanzierter Daseinsvorsorge von den Mischformen abzugrenzen, die Monti ausmerzen will. Ob ein sich öffentlich-rechtlich nennender Fernsehsender, der als Kulturbetrieb ohnehin Ausnahmerechte genießt, mit einem Freizeitpark auf dem Lerchenberg „Daseinsvorsorge“ betreibt – darüber soll zumindest diskutiert werden.

Zum Präzedenzfall für diese grundsätzliche Frage werden nun die indirekten Subventionen, die das Land Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 1991 bis 1998 der Westdeutschen Landesbank zukommen ließ. NRW hatte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft (WfA) in die WestLB eingebracht und nach Auffassung der EU-Kommission mit 0,4 Prozent keine marktgerechten Zinsen dafür verlangt.

Die Kommission verlangt eine rückwirkende Verzinsung von 12 Prozent nach Steuern. Nach Berechnungen von Montis Vorgänger Karel van Miert hat sich die Differenz zwischen tatsächlich gezahlten und marktüblichen Zinsen bis Juli 1999 auf 1,58 Milliarden Mark summiert. Diese Summe hätte die WestLB bis zum 4. Oktober vergangenen Jahres an das Land nachzahlen müssen.

Stattdessen zogen WestLB, Bundesregierung und Land NRW vor den Europäischen Gerichtshof. Ihre Klage setzt die Entscheidung der Kommission aber nicht aus. Deshalb will Monti nun seine Forderungen ebenfalls gerichtlich durchsetzen lassen. Ende März hatte er ein letztes Kompromissangebot des nordrhein-westfälischen Finanzministers Peer Steinbrück abgelehnt: Die Rücklage in eine stille Einlage umzuwandeln und diese nachträglich mit 5,804 Prozent zu verzinsen.

Derartige Details mögen für finanzpolitische Laien lähmend sein. Der Kern der WestLB-Diskussion aber berührt über kurz oder lang die Lebensbedingungen eines jeden. Denn öffentlich-rechtliche Einrichtungen bilden einen sozialen Puffer, der in Zeiten verschärften marktwirtschaftlichen Wettbewerbs mehr denn je gebraucht wird. Die kommunalen Sparkassen sind dafür ein gutes Beispiel. Spätestens bei der nur knapp gescheiterten Fusion zwischen Dresdner und Deutscher Bank wurde klar, dass „Kleinsparer“ – gemeint sind alle, die weniger als 200.000 Mark auf der hohen Kante haben – von den Banken als personalintensiver Balast betrachtet werden.

Hier wird „Daseinsvorsorge“ in des Wortes eigentlicher Bedeutung eingeschränkt. Es muss öffentlich-rechtliche Einrichtungen geben, die in die Bresche springen, wenn sich Anlageberatung für Rentner marktwirtschaftlich „nicht mehr rechnet“. Die EU-Verträge bieten dafür keinen rechtsverbindlichen Anhaltspunkt. Als Hinweis auf die Grundsatzposition der EU-Kommission in dieser Frage wird aber die Richtline zur Postliberalisierung von 1997 gewertet. Sie legt ausdrücklich fest, dass Mitgliedsstaaten zum Zweck der „Daseinsvorsorge“ flächendeckende Universaldienste anbieten können, die den Wettbewerbsregeln nicht entsprechen müssen.

Für andere Lebensbereiche gibt es bislang keine vergleichbaren Richtlinien. Die Ministerpräsidenten fordern deshalb, dass ein Katalog der Vorsorgeleistungen in der EU-Grundrechtscharta verankert wird. Andernfalls wollen sie die Reform der EU-Institutionen im Bundesrat blockieren. Mit seiner Klage hat Monti klargemacht, dass er sich nicht erpressen lassen will. Er hat aber auch betont, dass er dabei die mächtigen Landesbanken im Visier hat – und nicht die kleinen Sparkassen.

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