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Rasante Leichtigkeit

■ Im Ottenser Werkhof bauen schwer vermittelbare Jugendliche Liegeräder für EinsteigerInnen und EnthusiastInnen Von Gernot Knödler

„Ein ausgezeichneter Mechaniker baut so ein Fahrrad in anderthalb Stunden zusammen“, sagt Bernd Bleckmann und bastelt eine Shimano-Rennbremse an ein Alu-Hörnchen. Der gelernte Schlosser, Fahrzeugbauer und Berufspädagoge baut und entwickelt im Ottenser Werkhof Liegeräder, zusammen mit zwei Kollegen und derzeit zwölf Lehrlingen. Vom Rennrad mit elf Kilogramm Gewicht bis zum 16 Kilo schweren, bequem gefederten Tourenrad reicht die Produktpalette von „Zweirad  &  Zukunft“. 120 Liegeräder hat die „Fahrradkulturwerkstatt in Altona“ im vergangenen Jahr verkauft, gut die Hälfte davon selbst produziert.

Rechts vor dem Eingang zur Werkstatt stehen die fünf bis sieben Meter langen Chrom-Molybdän-Rohre, aus denen die Rahmen gefertigt werden. Schwarz und silbern reichen sie bis unter die Decke der Halle in der Gaußstraße. Neben der Werkbank hängt die Konstruktionszeichnung eines besonders flachen Diamant-Rahmens: Wie ein normaler Fahrradrahmen mit extrem kurzem Sattelrohr sieht er aus. Vorne ist mit einem Knick nach unten ein spitzer Ausleger angebaut – fertig ist die Basis der Hinterhof-Liegeradserie mit dem sehnsüchtig machenden Namen „Horizont“.

Die filigrane Konstruktion, die die Ingenieure von „Zweirad & Zu-kunft“ zusammen mit Roger Stanislowski von der Bremer Fahrradmanufaktur entwickelt haben, ermöglicht ein für Liegerad-Rahmen sensationell leichtes Gewicht von 2200 Gramm. Wenn es sein muss, können die Mechaniker damit ein Rad von unter zehn Kilo Gesamtgewicht konstruieren und in die Gefilde konventioneller Rennräder vorstoßen.

Die schlichte Leichtigkeit des nicht ganz so hochgezüchteten Serienmodells „fast“ mit elf Kilo hat es zum Beispiel der Mathematik-Doktorandin Julia Fischer angetan. Weil es sie bei herkömmlichen Fahrrädern stört, mit vornüber gebeugtem Körper gegen den Wind kämpfen zu müssen, besitzt sie bereits ein Liegerad. „Ich wollte ein leichtes und schnelles Rad haben“, sagt Fischer, die täglich von Hamm zur TU Harburg düst. Knapp 3000 Mark lässt sie für ihr schnelles Zweit-Liegerad im Ottenser Werkhof. „Das Geld hat ein Auto in zehn Monaten locker aufgefressen“, sagt Bernd Bleckmann.

Einschließlich des Rahmenbaus stecken drei bis sechs Stunden Arbeit in jedem Fahrrad, die Herstellung einzelner Kleinteile wie spezieller Muffen und Lager nicht mitgerechnet. Die zwölf Azubis lernen das Feilen, Löten und Fräsen an Objekten, die später auch verkauft werden. „Wir können das ganze Spektrum des Berufs ,Zweirad-Mechaniker' anbieten“, sagt Bleckmann stolz. Sogar Motoren-, Reifen- und Elektrotechnik sind dabei, weil die Azubis Elektroräder für die Bremer Fahrradmanufaktur montieren und Zweirad & Zukunft mit dem Bahrenfelder Elektro-Öko-Autohändler „Greenmobil“ kooperiert.

In der Gaußstraße werkeln Jugendliche, die sich zuvor erfolglos um eine Lehrstelle bemühten. Trotzdem sind sechs Ausbildungsplätze nicht besetzt. Jede Stelle wird vom Arbeitsamt zur Zeit mit knapp 2300 Mark im Monat gefördert. „Das sind 900 Mark weniger als vor einem Jahr“, freut sich Bleckmann darüber, dass sich die Werkstatt inzwischen besser trägt. Erst seit 1998 wirbt ein Hochglanz-Prospekt für die drei „Horizont“-Modelle „fast“, „swing“ und „top“, und Bleckmann hofft, die Produktion in diesem Jahr verdoppeln zu können.

Auch neue Modelle sind geplant: „Im Augenblick steht ein richtiges ,race' auf dem Zeichenbrett“, erzählt Bleckmann. Auf dieser 5000 Mark teuren Rennmaschine soll die Fahrerin noch flacher liegen als auf dem „fast“, und sie soll tiefergelegt werden. Fegt der Hintern beim „fast“ in 48 Zentimetern Höhe über den Asphalt, sollen es beim „race“ lediglich 20 Zentimeter sein. Selbst ein Lamborghini hält da nicht mit.

Jenseits der „Horizont“-Serie wollen Bleckmann & Co. für „Greenmobil“ das Designer-Dreirad „go one“ alltagstauglich machen. Das voll verkleidete, eiförmige Velomobil hat eine weitgehend selbsttragende Karosserie aus Faserverbundkunststoff, was revolutionär ist. Das Fahrwerk leidet in den Augen Bleckmanns allerdings noch an konstruktiven Mängeln, die er gerne beheben würde. Die Verhandlungen mit der Hersteller-Firma möchte er noch in diesem Jahr abschließen. Der wetterfeste Sportflitzer würde allerdings an die 15.000 Mark kosten – kein ungewöhnlicher Preis für ein zur Zeit noch ungewöhnliches Fahrzeug.

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