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Die Grünen – ein Jahr danach

Nichts ist sicher, nichts ist gewiss: Auf dem Hearing „Kosovo – ein Jahr danach“ werden viele Fragen gestellt und keine klar beantwortet

aus BerlinBETTINA GAUS

Es ist nicht einfach, den richtigen Zeitpunkt für eine Diskussion über ein heikles Thema zu finden. Irgendwie passt es nie. Jetzt ist gerade Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Da halten es führende Landespolitiker von Bündnis 90/ Die Grünen nicht gerade für werbewirksam, dass die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg eine große Rolle spielt. Vorher war Wahlkampf in Schleswig Holstein.

Vor einem Jahr hatte es so ausgesehen, als drohe den Grünen die Spaltung. Seit jedoch im Mai 1999 auf dem Parteitag in Bielefeld eine Mehrheit der Delegierten den Kurs der rot-grünen Bundesregierung stützte, war von dem schweren internen Konflikt öffentlich nur noch selten die Rede. Aber „es gibt die Verpflichtung, dass die Diskussion nicht einfach beendet wird“, betont die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer. Und so hat denn die bündnisgrüne Bundestagsfraktion am Samstag zu einer öffentlichen Veranstaltung ins Reichstagsgebäude gebeten: „Kosovo – ein Jahr danach“. Das sei allerdings nicht allen in den eigenen Reihen ein Herzensanliegen gewesen, erzählen Parlamentarier. Offensichtlich.

Außer denjenigen, die bei der Veranstaltung einen festen Part übernommen haben, finden kaum Abgeordnete den Weg hierher. Auch keiner von denen, die es im Außenministerium zu Amt und Würden gebracht haben. Da sind überwiegend Angehörige von Hilfsorganisationen und Mitglieder der Basis.

Was nützt, was schadetden Grünen beim Thema Krieg?

Dafür sind einige sehr junge Männer und Frauen vom „Büro für antimilitaristische Maßnahmen“ in Berlin gekommen. „Kriegstreiber!“ – „Mörder!“ Theatralisch werfen sie sich über das Podium, den eigenen Tod spielend. Derlei Aktionen sind inzwischen ebenso vorhersehbar wie ihr Verlauf. Kurze Pause, dann dürfen die Protestierenden eine Resolution verlesen. Sie stellen darin eine „unüberwindliche Gegnerschaft“ zwischen „antimilitaristischen Bewegungen“ und den Grünen fest. Er stelle eine besondere Aggression von Kriegsgegnern außerhalb gegenüber den Kriegsgegnern innerhalb der Partei fest, sagt Christian Ströbele später. Denen werde vorgeworfen, durch ihr Verbleiben die Regierungspolitik zu legitimieren.

Was nützt, was schadet den Grünen im Zusammenhang mit dem Thema Krieg? Diese Frage ist auch intern heftig umstritten. Zwei Denkschulen stehen einander unversöhnlich gegenüber. Die einen weisen darauf hin, dass es nicht zu der befürchteten Austrittswelle gekommen ist, sondern im letzten Jahr sogar neue Mitglieder hinzugewonnen werden konnten. Die anderen betonen, die Partei habe langjährige Getreue verloren und dafür manche Karrieristen hinzugewonnen. Und über die Frage, welchen Anteil der Kosovo-Krieg an schlechten Wahlergebnissen gehabt habe, lässt sich ohnehin keine Einigkeit erzielen. Es ist alles eine Frage der Perspektive.

Vor diesem Hintergrund laufen all diejenigen gemeinsam über ein Minenfeld, die sich heute überhaupt noch zum Thema Kosovo äußern. Die zaghafte Art und Weise, in der sich das kleine Häuflein zu Wort meldet, zeigt, dass dieses Problem allen bewusst ist. Antje Radcke erzählt, dass sie oft gefragt werde, ob sie aus heutiger Sicht noch immer wie damals in Bielefeld die Schlussresolution unterstützen würde. Die Vorstandssprecherin findet, dass sich diese Frage nicht beantworten lässt. Schließlich könne man sich nie in genau dieselbe Lage zurückversetzen, in der man sich zu einem anderen Zeitpunkt einmal befunden habe.

Dann lässt die Vorstandssprecherin einen möglichen Meinungswandel immerhin ahnen: „Milošević sitzt heute fester denn je im Sattel.“ Und: „Das Ziel des multiethnischen Kosovo haben wir nicht erreicht.“ Die Luftschläge hätten „viele zivile Opfer“ gefordert. Schließlich erklärt Antje Radcke sogar: „Ich habe das Gefühl, dass der Nato-Einsatz die Region insgesamt ein großes, großes Stück zurückgeworfen hat.“ An dieser Stelle ist es nur noch ein winziger Schritt, der die Politikerin von einer unmissverständlichen Bewertung trennt. Aber sie geht diesen Schritt nicht.

Was hätte eigentlich geschehen müssen, damit ehemalige Befürworter der Intervention diese nachträglich zu einem Fehler erklärten, will Kriegsgegner Christian Ströbele wissen. Er bekommt keine Antwort. Vorsichtig umkreisen diejenigen, die sich zu Wort melden, das Problem. Helmut Lippelt erinnert daran, dass immerhin ethnische Säuberungen der Auslöser für die Nato-Intervention gewesen seien. Zugleich aber räumt er ein: „Ich glaube, dass wir das System des internationalen Rechts sehr, sehr beschädigt haben.“ Antje Vollmer sieht die „ganz, ganz große Gefahr, dass wir am Anfang einer neuen, weltweiten Aufrüstungsspirale sind.“ War die Intervention nun richtig oder falsch? Das bleibt offen.

Wie so vieles. „Hat die Nato die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt?“ Das, so sagt die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller, sei eine der vielen Fragen, die „bis heute“ unbeantwortet seien. Das trifft nicht zu. Die Öffentlichkeit kennt mittlerweile Umfang, Ziele und Ergebnisse der Nato-Luftschläge. Neue Informationen werden gerade in diesem Zusammenhang nicht gebraucht, um zu einer abschließenden Wertung zu kommen: Ja, die Verhältnismäßigkeit der Mittel wurde gewahrt. Nein, sie wurde nicht gewahrt.

Aber eine solche Wertung wäre auf beklemmende Weise endgültig, und eine Frage als solche ist ja ein nützliches rhetorisches Element. Sie zeugt von Nachdenklichkeit. Sie erlaubt es, Kritik eleganter zu zu formulieren als ein plumper Aussagesatz. Sie lässt Rückzugsmöglichkeiten offen. „Wir haben viele Fragen gestellt, aber die richtigen Antworten sind uns leider nicht gegeben worden“, bedauert Antje Radcke. Angelika Beer stellt fest, dass die Bundesregierung nicht bereit sei, einige „kritische Fragen“ zu beantworten, und dann stellt sie selbst eine: „Hat das Parlament alle Instrumentarien parlamentarischer Kontrolle ausgenutzt?“ Wer weiß.

Nichts ist sicher, nichts ist gewiss. Auf dem Parteitag in Bielefeld hatte im Mai 1999 eine Mehrheit der Delegierten nach hitziger Diskussion eine Resolution des Bundesvorstands verabschiedet, in der Forderungen nach einem „generellen Ende der militärischen Aktionen der Nato“ eine Absage erteilt wurde. „Eine Mehrheit der Grünen hat der Bombardierung letztlich zugestimmt“, sagt Kerstin Müller in der Rückschau, und das wenigstens ist doch eine Aussage, an der Zweifel kaum möglich scheinen. Von wegen. Christian Ströbele widerspricht der Einschätzung seiner Parteifreundin, eine Mehrheit habe sich „für den Krieg“ entschieden. In der Resolution sei so ein Satz nicht enthalten gewesen. Beschlusslage der Partei sei immer noch das geltende Programm von 1998, wonach „so etwas eigentlich ausgeschlossen ist“.

Eigentlich. Wenn schon nicht in der Vergangenheit, dann doch wenigstens in der Zukunft. Da sind sich alle einig, da stehen Aussagen wie in Granit gemeißelt. „Krieg darf nicht zum Mittel von Politik werden“, sagt Kerstin Müller. Das sei „die gemeinsame Basis zwischen Befürwortern und Gegnern der Intervention“. Angelika Beer betont: „Dieser Krieg muss die absolute Ausnahme gewesen sein.“ Antje Radcke erklärt: „Noch einmal eine Zustimmung zu einem solchen Einsatz kann es aus meiner Sicht nicht geben.“

„Es war der erste, nicht derletzte Krieg der Bundesrepublik“

Aus der Sicht von Professor Egbert Jahn schon. Der Mannheimer Wissenschaftler sieht manches anders als seine Gastgeber: „Für Deutschland war es der erste Krieg, und nach meiner Einschätzung war es nicht der letzte Krieg.“ Es habe eine „Normalisierung“ der deutschen Außenpolitik stattgefunden. Ein konventioneller Krieg sei wieder zu einem Bestandteil von Politik geworden. Jede Regierung sei „mit dem Problem konfrontiert, dass sie mit dem Gewaltmittel Militär irgendwie umgehen muss. Eine gewaltfreie Politik im strikten Sinne ist nur möglich in der gesellschaftlichen Opposition.“ Ein interessanter Standpunkt. In der anschließenden Podiumsdiskussion spielt er allerdings keine Rolle.

„Überwiegend Verdrängung“ sieht der Abgeordnete Winnie Nachtwei im Zusammenhang mit der Diskussion über den Kosovo-Krieg – sowohl in der Gesellschaft wie auch in der Politik. Er gehört am Samstag zu den wenigen, deren Stellungnahme nicht auch von internen taktischen Erwägungen bestimmt zu sein scheint. „Nachholbedarf in Krisenprävention“ sieht Nachtwei. Derzeit gebe die Bundesregierung dafür „ein paar zig Millionen aus“. Das sei als „Einstieg eine ansehnliche Größe“, müsste aber mehr werden. Eine „Lobby für dieses Politikfeld“ fordert der Abgeordnete, der übrigens Kreisverbänden bei Interesse auch anbietet, Veranstaltungen zum Kosovo-Krieg abzuhalten. Sogar während des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen.

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