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„Hochnotpeinliche Veranstaltung“

■ Ermittlungen über das Auslandseigentum von Einwanderern werden jetzt erst im Delmenhorster Sozialausschuss besprochen

Die Vorgänge im Delmenhorster Amt für Soziale Dienste werden nun auch den städtischen Ausschuss für Soziales beschäftigen. „Wir nehmen die Berichterstattung der taz zum Anlass, uns aufklären zu lassen“, sagte gestern der Vorsitzende des Ausschusses, Harald Groth (MdL/SPD). Die nächste Sitzung finde im Juni statt.

Die taz hatte berichtet, dass sich jüdische Einwanderer durch die Art der Nachforschungen des Sozialamts nach möglichem Wohneigentum in den Herkunftsländern schikaniert fühlten. Darüber hinaus war bekannt geworden, dass im Sozialamt Zahlen über „straffällige jüdische Emigranten“ im Sozialhilfebezug, „vom Dieb bis zum mutmaßlichen Auftragsmörder“ erstellt worden waren (taz vom 14. April).

„Personenbezogene Daten haben mit der Sozialhilfe nichts zu tun“, stellte dazu Groth fest. Die Nachforschungen nach Wohneigentum im Ausland entsprächen dem Gesetz. „Bevor der Steuerzahler dran ist, muss Vermögen eingesetzt werden“, so Groth. Dies könne in verschiedenen Fällen „eine hochnotpeinliche Veranstaltung“ werden, räumte er ein. So gebe es Fälle, in denen die Sozialämter auch Rückforderungen gegen Kinder von heute pflegebedürftigen Eltern stellen müssten – auch wenn ein Übertrag von geringem Vermögen bereits Jahre zurückliege. Gegenüber der taz erklärte Roth, er gehe davon aus, dass jeder Hilfeempfänger gleichermaßen überprüft werde. „Die Politik ist aufgerufen, wenn ungleiche Akzente gesetzt werden.“

Tatsächlich liegen der taz Hinweise vor, wonach das Sozialamt gegen jüdische Einwanderer bereits mehr als ein Jahr ermittelte, bevor man intern erwog, „ob im Rahmen der Gleichbehandlung auch Spätaussiedler in ein Verfahren einbezogen werden (...)“. Noch vergangene Woche hatte Sozialdezernent Friedrich Hübner gegenüber der taz betont: „Wir behandeln jeden Sozialhilfeempfänger gleich. Wir sortieren nicht nach Juden oder nicht-Juden.“

Zu der internen Aufstellung über jüdische Straftäter räumte Hübner gestern ein: „Es hat zusammenfassende Berichte und Erwägungen gegeben, die es in Zukunft nicht mehr geben wird.“ Andere Konsequenzen seien nicht vorgesehen. Erstmalig machte er jetzt auch Angaben zu den ermittelten Werten. „In 29 der 55 bisher festgestellten Eigentumsfälle bei Kontingentflüchtlingen und Aussiedlern ist die Wertermittlung mit einem umgerechneten Gesamtvolumen von über 600.000 Mark abgeschlossen.“ Diese Vermögenswerte seien, soweit Gerichtsverfahren anhängig waren, gerichtlich anerkannt worden. Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde sei gestern ein baldiges Gespräch verabredet worden.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Delmenhorst, Pedro Becerra, äußerte sich unterdessen betroffen. Es müsse aufgeklärt werden, ob in der Behörde derartige Daten erhoben wurden. „Das darf nicht sein“, so Becerra. Dies gelte umso mehr, als die Stadt bislang viel für die jüdische Gemeinde getan habe. Erneut betonte er: „Befragungen über Eigentum sind rechtens. Daran besteht kein Zweifel.“ Allerdings müssten im Interesse der Betroffenen auch sichergestellt werden, dass die Untersuchungen zu einem klaren Zeitpunkt auch abgeschlossen würden. ede

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