: Politik im Zeichen des Kekses
■ Verhungern müssen JournalistInnen in Hamburg nicht. Satt wird man aber nur in der Wirtschaft
JournalistInnen sind Schnorrer, Parasiten, die es sich auf Kosten der Allgemeinheit gut gehen lassen. Das ist allgemein bekannt. Die Geschichte des Mannes, der sich als vorgeblicher Pressemensch jahrelang in Hamburg bei offiziellen Terminen durchgefressen hat, ist Legende. Die Realität abseits der Legende sind trockene Kekse bei der Regenbogen-Gruppe. Das kulinarische Berufsleben von JournalistInnen ist irgendwo zwischen Karo-Kaffee und Caipirinha angesiedelt.
Gemeinhin beneidet wird der ohnehin zum Wichtigsein tendierende Typus der WirtschaftsberichterstatterIn. Bilanz-Pressekonferenzen bei der Hamburgischen Landesbank, bei der Haspa oder der Handelskammer tendieren zu Lachsbrötchen und Shrimps-Kanapees und Wirtschaftsjournlisten auf Dauer zu einem gewissen saturierten Gesichtsausdruck inklusive Bauchansatz. Da die Bilanzen auch gern am frühen Vormittag präsentiert werden, empfiehlt sich an solchen Tagen der Verzicht aufs heimische Frühstück. Risikofaktor: Wer nur Momente unpünktlich erscheint, erwischt unter Garantie nur noch die Sitzgelegenheiten, von denen aus man die bereitgestellten Brötchentabletts nicht erreichen kann. Was dazu führt, dass man, statt sich um Umsatzgewinne zu kümmern, mit der Frage herumschlägt: Soll man jetzt demonstrativ aufstehen und sich den Teller vollpacken, oder wird das von der Bänkerschaft und übrigen Journaille als würdelos goutiert? Die Vorurteile bestätigend: Na, ja, die taz eben – muss sich auch mal satt essen.
Die Hamburger Parteipolitik – das ist schon oft kolportiert worden – findet im Zeichen des Kekses statt. Über die guten CDU-Fraktionsplätzchen schreiben, das hieße mittlerweile Eulen nach Athen tragen. Da werden sogar Hamburger Rathaus-JournalistInnen zu kritischen Nachfragen gedrängt, falls der Tisch bei christdemokratischen Pressekonferenzen mal ungewöhnlich leer ist: „Wo sind denn die Kekse geblieben?“, wird dann investigativ nachgebohrt. Als Tipp für die anderen Fraktionen: Das sind Delacre-Kekse aus dem Schlemmer-Markt. Im CDU-Sekretariat der Fraktion legt man Wert darauf, dass das nicht nur eine qualitative, sondern auch eine kostenbewusste Wahl ist – und nicht erst, seit man bei der CDU bußfertig und strafgeldbelegt den Gürtel enger schnallen muss.
Kostenbewusstsein auch bei GAL und Regenbogen: Man teilt sich die Küche, wo der Kaffee für Fraktionspressekonferenzen gekocht wird. Ein Ende hat das geschwisterliche Teilen nicht nur, wenn es um Sitze in der Deputation geht, sondern auch bei der Milch in der gemeinsamen Küche, wie Regenbogen-Pressesprecher Marco Carini preisgibt. Es soll dabei bereits ab und an zu Verstimmungen gekommen sein, wer welche Milch benutzen darf.
Versorgungs-Tiefpunkte wie die notdürftig geschrubbten Möhren am Wahlabend bei der Hamburger PDS sind im Leben eines Pressemenschen unvergessen. Oder die unbeschwerte Zeit, als die VIP-Logen im Volksparkstadion noch nicht ganz fertig waren und daher so viel Hirschgulasch übrig blieb, dass auch die SportredakteurInnen damit verköstigt wurden. Alles vorbei, vorüber. Vollbier ist bei HSV-Pressekonferenzen im übrigen selbstverständlich, so wie Voll-Whiskey bei St. Pauli. Aber auch das wird mit dem scheidenden Hauptsponsor anders werden.
Häppchen und Schnittchen als Bestechung für anschließend wohlgesonnene Texte – daran glauben selbst die politischen Brötchenschmierer nicht. „Dass man damit Berichterstattung beeinflussen kann, das haben die Leute kurz vor der Währungsreform vielleicht noch geglaubt. So naiv sind wir nicht“, sagt CDU-Fraktionssprecher Gerd Boysen. Peter Ahrens
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