: Daten, Fakten, Zahlen, Lügen
Hamburger Senat täuscht vorsätzlich die Bürgerschaft, glauben CDU und Regenbogen. Auch SPD und GAL sind unzufrieden ■ Von Sven-Michael Veit
Dietrich Wersich hat keinen Ruf als Mann der lauten Töne. Der CDU-Abgeordnete gilt eher als einer, der seine Worte mit Bedacht wählt. Wenn der 36-jährige Mediziner behauptet, „der Senat lügt, führt Abgeordnete bewusst in die Irre oder verweigert Auskünfte“, dann hat er handfeste Indizien zu bieten. An fünf Beispielen seit Dezember vorigen Jahres belegte Wersich gestern „die Anmaßung und Arroganz“ des rot-grünen Senats und einzelner Fachbehörden.
So hatte Sozialsenatorin Karin Roth (SPD) ihm im Dezember in der Bürgerschaft, so steht es im Protokoll, vorgeworfen, bei den Kosten für das Heroinmodellprojekt mit zu hohen und falschen Zahlen zu argumentieren. Zwei Wochen später musste der Senat in seiner Antwort auf eine Anfrage Wersichs dessen Angaben bestätigen. Seinem Fraktionskollegen Frank-Thorsten Schira wurde im Februar auf seine Frage nach den Krankenhilfeleistungen der Sozialbehörde für Sozialhilfeempfänger mitgeteilt, dass entsprechende „Zahlen nicht zur Verfügung stehen“. Die Behörde ist allerdings gesetzlich verpflichtet, solche Statistiken zu führen. Also, folgert Wersich, „ist die Antwort unwahr oder soll vertuschen, dass die Behörde ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommt“. Weitere Beispiele betreffen vor allem die Bau- und die Wirtschaftsbehörde.
„Wie“, so fragt sich Wersich, „sollen da Abgeordnete ihrer Aufgabe nachkommen können, die Regierung zu kontrollieren?“ Behörden hätten nunmal „einen erheblichen Informationsvorsprung“, wenn sie aber „Daten, Fakten und Zahlen“ nicht herausrücken, „dann entzieht sich der Apparat der Überwachung durch das Parlament“. Ein ähnliches Resümee hatte bereits im Dezember vorigen Jahres eine unabhängige Kommission in ihrer Untersuchung über das Machtverhältnis zwischen Parlament und Regierung in Hamburg gezogen. Darin war von „einem erheblichen Ungleichgewicht zu Ungunsten der Bürgerschaft“ die Rede. Und das habe, so mutmaßt Wersich, System: Es sei „der Stil“ von SPD-Bürgermeister Ortwin Runde, „Ruhe an der Front“ zu halten. Der Senat, das sei Konsens in seiner Fraktion, „ist nicht diskussionsbereit“. Deshalb erwäge die CDU gar eine Klage vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht, um den Senat juristisch zu zwingen, „seinen Pflichten gegenüber dem Parlamant nachzukommen“.
Unterstützung erhält die Union vom Regenbogen. Es gebe „ungezählte Beispiele“, so Gruppensprecherin Heike Sudmann, für falsche, unvollständige oder verweigerte Auskünfte seitens des Senats. Rundes Sprecher Ludwig Rademacher weist das selbstverständlich zurück: „Der Senat antwortet nach bestem Wissen und Gewissen.“ Er werde die Vorwürfe der CDU gerne im Einzelnen prüfen, aber „eine Fahrlässigkeit des Senats ist nicht vorstellbar“.
So sehen das im Prinzip auch die Regierungsfraktionen. „Im Einzelfall ist mal eine Auskunft nicht vollständig genug“, so SPD-Sprecher Thomas Völsch, aber „in der Regel sind wir zufrieden“. Sie vermisse manchmal „eine wünschenswerte Differenziertheit und Ausführlichkeit“, räumt GAL-Fraktionschefin Antje Möller ein, aber „dann ist es hilfreich, eine weitere Anfrage zu stellen“.
So ganz umfassend kann die Zufriedenheit allerdings nicht sein. Zufällig ebenfalls gestern legten Möller und ihr SPD-Amtskollege Holger Christier eine Liste von 63 „Bürgerschaftlichen Ersuchen“ an den Senat vor, die dieser bislang keiner Antwort würdigte. Die ältes-te datiert vom 31. März – 1998.
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