: Bombenhagel zum Abschied
Wenige Wochen vor dem geplanten Abzug der israelischen Truppen aus dem Süden Libanons bombardiert die Luftwaffe noch einmal Ziele im Zentrum und Norden des Nachbarlandes. Die schiitische Hisbullah schießt wie gewohnt zurück
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Mit Angriffen auf die libanesische Infrastruktur beantwortete Israels Militär in der Nacht zu gestern die jüngsten Katjuscha-Attacken der libanesischen Schiitenmiliz Hisbullah. Die hatte zuvor Ziele in Nordisrael beschossen.
Die Luftwaffe flog vor allem in der Region Baalbeck Angriffe auf libanesische Dörfer. Das Sicherheitskabinett in Jerusalem hatte am Vorabend auf Druck des Militärs über die Vergeltungsmaßnahmen entschieden. Bei erneutem Katjuscha-Beschuss wurden gestern früh einige israelische Zivilisten leicht verletzt. Nach den überraschenden ersten Raketen-Angriffen am Donnerstagabend, die einen Soldaten das Leben kosteten, verharrte die Bevölkerung im Norden Israels zunächst in den Bunkern.
Auslöser der jüngsten Gewaltwelle war der Tod zweier libanesischer Frauen, die Mitte der Woche von Angehörigen der mit den israelischen Truppen verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA) offenbar versehentlich erschossen worden waren. Israels Stabschef General Schaul Mofas betonte, dass die nächtliche Schießerei weder nach Absprache noch mit Genehmigung der israelischen Armee stattgefunden habe.
Offen blieb, ob die SLA-Truppe die Attacke möglicherweise als gezielte Provokation ausgeführt hatte. In der Truppe herrscht angesichts ihres noch immer unbestimmten Schicksals nach dem für Anfang Juli geplanten Abzug der israelischen Besatzer aus dem Süden Libanons derzeit große Nervosität. Israels Premierminister Ehud Barak meint,dass die Hisbullah die Situation in der Grenzregion mit Blick auf den geplanten Abzug eskalieren lassen wollte.
Das Ende der israelischen Besatzung ist stets erklärtes Ziel der schiitischen Guerillas gewesen. Mit dem Abzug des Feindes wird der Hisbullah ein Stück ihrer Existenzberechtigung entzogen. Wenn die israelischen Soldaten schon abziehen, dann soll es zumindest so aussehen, als würden sie vor der Hisbullah fliehen.
Die neuen Spannungen erschweren eine eventuelle Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Friedensverhandlungen.
Trotz des offiziell gescheiterten Gipfeltreffens zwischen US-Präsident Bill Clinton und dessen syrischen Amtskollegen Hafis al-Assad, waren aus Damaskus in den vergangenen Wochen wiederholt versöhnliche Signale gekommen. Zwar kann Syrien, darin sind sich militärische Beobachter in Israel einig, für die jüngsten Katjuscha-Angriffe nicht unmittelbar verantwortlich gemacht werden. Trotzdem kontrolliert die Regierung in Damaskus indirekt die schiitischen Guerillas, da die Waffenlieferungen aus Teheran zumeist über Syrien geschickt werden. Seit Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Verhandlungen hatte die Regierung in Damaskus peinlich darauf geachtet, dass die israelische Schmerzgrenze – sprich Angriffe auf israelische Zivilisten – nicht überschritten wird.
Umgekehrt wird mit den erneuten Angriffen auf libanesische Elektrizitätswerke, Industrieanlagen und Straßen auch Syriens Wirtschaft schwer getroffen. Dazu kommt, dass die anhaltende Bombardierungen ziviler Ziele im Libanon die internationale Meinung gegen Israel aufbringen könnnte.
Nach dem Abzug der israelischen Truppen soll die Sicherheitskontrolle zunächst von UN-Soldaten übernommen werden. Die ersten israelischen Stützpunkte wurden bereits geräumt, und die Arbeiten an dem Zaun entlang der internationalen Grenze laufen auf Hochtouren. In zwei Monaten soll der letzte Israeli den Libanon verlassen haben. Für Jerusalem kommt nicht nur mit Blick auf die Übergabe der Sicherheitskontrolle die neue Welle der Gewalt denkbar ungünstig. Auch bei der eigenen Bevölkerung in Nord-Galiläa, die sich in diesen Tagen mit Szenen aus „dem Alltag danach“ konfrontiert sieht, kann Barak mit der Umsetzung eines seiner zentralen Wahlversprechen derzeit keine politischen Punkte gewinnen.
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